Wir sind Gefangene
verließ er die schreiende Frau wieder. Ich hielt ihn an: »Und wenn ich sie jetzt anpacke und mir die Sachen mit Gewalt nehme, was passiert dann?« Er zuckte unbeteiligt die Achseln und meinte: »Das können Sie tun, aber dann kann sie Sie wegen Hausfriedensbruch belangen ... Am besten ist's, Sie zahlen und ziehen aus.« Damit ging er.
Hm, das war also der Staat! Zahl', sagte er, dann hast du den Frieden. Wehrst du dich dagegen, so wirst du bestraft. Ganz gleich wie, zahlen mußt du.
Ich schloß die Zimmertür zu und beriet mich mit Hobrecker. »Mensch, ich hab' keinen Heller mehr. Ich kann nichts anderes tun, als dieses Sauweib anpacken, mir die Sachen nehmen und losziehen - oder ich muß eben zahlen! Hm!« sagte ich und setzte besorgt hinzu: »Was mach' ich bloß mit Selma? ... Die ist ja sowieso schon aufgerieben von dem ewigen Hin und Her.« Mein Kumpan lächelte schief.
»Hm, Pech! Pech! ... Ehefreuden!« witzelte er burschikos. Ich wurde ärgerlich.
»Herrgott, Rindvieh! Quatsch doch nicht daher, Mensch!« fuhr ich ihn an: »Wir müssen doch wenigstens einigermaßen alles eingerenkt haben, bis Selma kommt ... Also, was meinst du? ... Du hast doch auch kein Geld, oder ...?«
»Nee - eine Mark und zwanzig ist mein ganzes Vermögen«, erwiderte er achselzuckend und schien jetzt selber zu überlegen. Ratlos standen wir eine Weile so da. »Mir kommt eine Idee«, sagte Hobrecker plötzlich und machte ein Gesicht, als sei ihm das beste von der Welt eingefallen, »laß dich mal anschauen.« Er besah meinen Anzug, meine Schuhe. Er musterte mich von oben bis unten. »Dafür kann man eventuell noch zwanzig Mark kriegen ... Ich kenn' ja den Pfandverleiher ... Eine feine Nummer, anständiger Kerl das! ... Also paß auf, du ziehst dich aus, legst dich einstweilen ins Bett ... Ich versetze unterdessen die ganze Chose und komm' gleich wieder; wir zahlen, versetzen dann die beschlagnahmten Dinger und alles geht... Verstehst du? ... Ich sag' schon, er soll den Anzug und die Schuhe einstweilen liegen lassen, ich hol's gleich wieder ... Wie meinst du?« erklärte er mir.
Ich überlegte. Siebenundzwanzig Mark sollte ich der Logisfrau noch bezahlen. Schließlich könnte man auch noch meinen Hut mitnehmen, meinte Hobrecker, und fand auch meine Brieftasche wertvoll. »Gut«, sagte ich und tat, was verabredet war. Hobrecker nahm meine Schlüssel und ging mit den Sachen los. Ich legte mich rasch ins Bett und wartete. Mich fror, ich zog die Decke hoch über mich. Durch die Wände drang das kläffende Singen der Ulbrichin. Sie sang aufdringlich laut, und mir schien, als klinge aus ihrem Geschrei ein hysterischer Triumph. An Rache dachte ich, auf ganz romantische Einfalle kam ich. Die Zeit verlief. Immer nervöser wurde ich. Selma kam mir ins Gedächtnis. Krank war sie und jetzt völlig zerrüttet. Herrgott! Herrgott, was hatte ich denn getan? Was hatte ich denn bloß angefangen! Nicht geliebt hatte ich sie, nicht gehaßt hatte ich sie - wegen einer Viertelstunde Mitleid hatte ich sie geheiratet und nun das ganze Unglück über uns beide heraufbeschworen. Warum war ich denn nicht einfach nach jener Nacht auf und davon gegangen, einfach geflohen? Grauenhaft stand alles ringsherum. Heute wollte ich noch mit Selma reden.
Alles war mir schon ganz klar. Aber das ging ja nicht! Du mußt , sagte ich mir stoisch, das wird schon alles so sein müssen! Vielleicht gerade deshalb, weil du vorher so sinnlos dahingelebt hast. Jetzt hörte ich die Schlüssel in der Eingangstür knirschen. Ich wußte nicht, wie spät es war und hatte Angst, Selma könnte es sein. Aber es war Hobrecker. Da - ich hörte schon wieder die Ulbrichin mit ihm im Korridor draußen streiten. Aber gegen Wilhelm Hobrecker aus Remscheid war alles vergebens, er war ein Wunder, ein Phänomen. »Aber liebe, gute Frau! ... Aber sind Sie bloß man ruhig! Regen Sie sich bloß man nicht auf, Frauchen«, hörte ich seine unvergleichlich ruhige Stimme, die das Gekeife der Logiererin überdröhnte, und mit jenem wunderbaren Brustton, der ihm so viel Vertrauen eingetragen hatte, setzte er hinzu: »Da haben Sie Ihr Geld ... Ordnung muß sein! ... Ganz recht haben Sie, jaja ... Mein Freund ist krank geworden. Er liegt im Bett ... Na, Sie werden mir doch nicht zumuten, daß ich ihn so liegen lasse? ... Seien Sie vernünftig, liebes Frauchen! ... Herr Graf kriegt natürlich die Sachen, nich wahr ...? Na also!«
Und richtig, was ich mit Zorn und Wut nicht erreicht hatte, er brachte es
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