Wir sind Gefangene
dachte ich. Auf einmal kam mir Selma in den Sinn. Ja so, ich war ja verheiratet! Ja so, ich war ja nicht mehr allein! Nun erst wußte ich eigentlich, daß noch ein Mensch mit mir zusammenlebte, jeden Tag mit mir lebte. Ich drehte mich um und sah nach ihr. Zermürbt, ausgeweint, zerrieben kauerte sie auf dem Stuhl.
»Pech! Pech!« sagte ich. »Aber da bleiben wir ja jetzt! Komm, es wird schon wieder werden! ... Die ganze Literatengesellschaft soll der Teufel holen! Zuletzt ist man doch immer allein! ... Komm, legen wir uns nieder! ...«
VIII
DIE LITERATUR BEGINNT
Ich zog mich jetzt mehr und mehr zurück, ging nicht mehr in den Simplizissimus und gab nicht mehr an, wenn Hobrecker an der Tür war. Auf einmal waren mir alle Menschen zuwider.
Es war fast, als ob ich mich endgültig entscheiden wollte, wie mein weiteres Leben sein sollte. Die Misere stand zu drückend um mich herum und Auswege gab es wenige. Die Schriftstellerei war mehr als unsicher und die Erfahrungen, welche ich mit Stellungen gemacht hatte, waren nicht verlockend. Unter allen Umständen aber mußte Geld herbeigeschafft werden. Erstens, um dem ewigen Auf-das-Leihamt-Tragen ein Ende zu machen und zweitens, damit unsere Ehe eine einigermaßen erträgliche Grundlage bekäme.
Geld, das war immer das Amen und der Anfang, wo man auch hinsah. Geld war Glück und Unglück. Geld war wirklich mit der Zeit für mich etwas geworden wie ein Dämon, der das Leben beherrschte. Es war ja alles Unsinn, was die Dichter und Philosophen daherredeten von Moral, von Ethik und Charakterfestigkeit, von Idealismus und weiß Gott was für guten Eigenschaften. Diese Eigenschaften waren letzten Endes alle untergeordnet - das Geld machte sie oder löschte sie aus. Der Mensch hatte da etwas erfunden, dem er sich mit der Zeit unweigerlich mit Haut und Haaren auslieferte. Hatte er kein Geld, so war er ein Nichts, besaß er eins oder verdiente er gut, dann konnte er leicht gut und menschlich sein. Mit dieser Erkenntnis fing ich langsam an, nach Möglichkeiten herumzusuchen. Vor dem Krieg hatte ich in München einen Schreibmaschinenkursus mitgemacht und mich mit dem dortigen Lehrer ziemlich angefreundet. Ich suchte ihn wieder auf, und er erlaubte mir, in seinem Kursus auf mitgebrachtem Papier meine Manuskripte zu schreiben. Ab und zu wußte dieser Lehrer auch offene Bürostellen, vielleicht konnte er mich unterbringen. Aber es geschah nichts dergleichen. Die Redaktionen schickten andauernd zurück, Selmas Verdienst reichte nicht hin und nicht her und schon fing wieder das Verpfänden an. Mir wurde angst und bang. In der Zeitung inserierte zur selbigen Zeit eine Versandbuchhandlung Bücher auf Teilzahlung. Nach Bezahlung der ersten Rate bekomme man sofort die ganzen Werke komplett geliefert. Mir kam ein rettender Gedanke. Ich erkundigte mich. Alles war so, wie es im Inserat angegeben war. Ich versetzte meinen Schirmstock und bestellte von dem Erlös Heinrich Manns gesammelte Werke. Nach zwei Tagen bekam ich die sechs Halbleinenbände. Sofort verkaufte ich sie im nächstbesten Antiquariat. Glatt verlief alles. Ich entwarf sogleich einen großzügigen Ankaufsplan. Selmas Einwürfe beachtete ich nicht.
Also, was konnte man bei der Versandbuchhandlung alles haben? Heinrich Manns Werke, Nietzsches Werke, Dostojewskijs Werke, Weltall und Menschheit - lauter annehmbare Dinge, die der Antiquar gut zahlte. Schon rechnete ich mit unerhörten Einnahmen.
»Du brauchst vielleicht bald nicht mehr ins Geschäft gehen«, sagte ich zu Selma siegesbewußt, aber sie zuckte nur zweifelnd die Schultern und erwiderte immer wieder: »Ja, aber wie willst du denn später die ewigen Monatsraten aufbringen?« » Die ? ... Ach was, das wird sich schon geben!« beruhigte ich sie und dachte nie weiter darüber nach. Ich bestellte zu Bekannten hin, denen ich die erste Rate zum Empfang gab, eine Menge Werke und hatte mit dem Verkauf vollauf zu tun. Selmas Gesicht wurde immer besorgter, aber ich kaufte alles mögliche und suchte sie so an die Wohltaten meiner Geschäfte zu gewöhnen.
Zwei Maler traf ich und beredete sie, Bücher für mich in Empfang zu nehmen. Sie sagten beide großzügig: »Ja, selbstverständlich.« Ich gab ihnen Geld für die Anzahlung. Zum einen kam ein Kundschafter, der wissen wollte, ob der Käufer auch wirklich zahlungsfähig sei. Darauf ließ der eingeschüchterte Mann das Bücherkaufen sein. Der andere verbrauchte das Geld für sich. Der Kundschafter hatte Mißtrauen in mir erregt. Ich
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