Wir sind Gefangene
Heiratspapiere. Nach Hause gab ich eine unklare Nachricht, und weil sich meine Logisleute stets ärgerten über den »Damenbesuch«, kündigte ich und zog nach Schwabing. Nach kurzer Zeit heirateten wir. Die Ehe war unglücklich von Anfang bis zu Ende.
VII
PECH UND SCHLECHTE GESELLSCHAFT
Es fing schon alles recht sonderbar an. Mit meinem letzten Geld hatte ich ungefähr vier Wochen vor unserer Verheiratung das Zimmer in Schwabing genommen. Wir wollten später zu zweit hier wohnen, besprachen dies auch gleich mit den Logisleuten bei meinem Einzug, und die waren einverstanden.
Härtester Winter war noch. Durch eine Erkältung hatte ich mir einen Blasenkatarrh zugezogen, achtete aber nicht recht darauf. Plötzlich, als ich am zweiten Tag aufwachte, merkte ich, daß ich ins Bett genäßt hatte. Angst und Scham trieben mich eilig aus dem Bett. Ich zog ein neues Hemd an, warf mich in meine Kleider und wand das nasse Leintuch aus. Auf keinen Fall sollten meine Wirtsleute etwas merken. Mäuschenstill verhielt ich mich, bis endlich mittags Selma aus dem Büro kam, um nach mir zu sehen.
»Du! ... Denk mal - ich habe - ich bin krank! Ich weiß nicht, was ich hab' ... Geh' gleich und hol' einen Arzt«, lispelte ich ihr zu. Erschrocken fragte sie. Hastig erzählte ich. Sofort lief sie zum Arzt. So gut es ging, machte ich unterdessen mein Bett zurecht und legte mich wieder hinein. Mein sonderbares Benehmen schien den Mietgebern schon aufgefallen zu sein, denn recht verdächtig schlurften sie seit einer Weile draußen im Korridor auf und ab und murmelten. Aber das kümmerte mich im Augenblick gar nicht so, obwohl es äußerst peinlich gewesen wäre, wenn beispielsweise irgendeine solche Person eingetreten wäre und gefragt hätte, was mir fehle. Ja - ja, was hätte ich schließlich sagen können in meiner Bestürzung? Ganz und gar verdattert und rot im Gesicht hätte ich sicherlich stotternd geantwortet: »Entschuldigen Sie, ich - ich hab' ins Bett genäßt! ... Es - es ist - ich weiß nicht - es ist auf einmal losgegangen ...«
Aber, wie gesagt, das ging mir momentan gar nicht so recht durch den Kopf. Ganz etwas anderes beunruhigte mich. An mein bisheriges, liederliches Leben dachte ich, an die Huren und Animierkneipen und an all' die Lustnächte. So, dachte ich, in mich verbissen, so, das hast du nun, du Saukerl! Jetzt bist du angesteckt und ruiniert für dein Leben! Da hast du nun die Strafe, du Mistkäfer! Fürchterliches Entsetzen aber packte mich, als ich auf einmal an Selma dachte. Die hast du nun auch angesteckt! Beide gehen wir zugrunde! Da! Das hast du gemacht! Selma kam endlich mit dem Arzt, blieb im Korridor draußen, während ich untersucht wurde. Ich hatte mich aufgerichtet und schaute den Doktor hilflos an.
»Herr Doktor?« fragte ich gedämpft: »Um Gottes willen, Herr Doktor, ich hab' mich angesteckt! - Ich heirate ... Bin ich geschlechtskrank? ... Da draußen steht meine Braut!«
Der Arzt ging sehr gründlich vor, fragte und fragte und lächelte endlich. Ich sah ihn unsicher an und wurde völlig ratlos.
»Nein - nein, Herr Graf«, erwiderte er jetzt ruhig und schien sich schier über mich lustig zu machen. »Nein, das ist nichts weiter ... Sie sind nicht geschlechtskrank. Sie haben sich bloß stark verkältet und dürfen nicht so viel trinken vor dem Schlafengehen, verstehn Sie? ... Leichter Blasenkatarrh - kann mal vorkommen, daß das Bett naß wird dabei... Vor allem recht warm halten und bleiben Sie vielleicht einige Tage liegen und da, das nehmen Sie täglich dreimal ... Ja?« »Also bin ich wirklich nicht geschlechtskrank? Ganz gewiß nicht?« fragte ich immer noch im Zweifel, denn eigentlich hatte ich mich schon ganz hineingelebt in mein vermeintliches Leiden. Dieses rasche Hin und Her ging mir zu schnell. Der Doktor mußte wieder lächeln, fragte, ob ich schon öfters ins Bett genäßt hätte, und als ich verneinte, antwortete er ironisch: »Sind Sie beruhigt, Sie können schon heiraten, Herr Graf ... Das ist gleich wieder vorbei.« Dann verabschiedete er sich. Ich war wie erlöst. »Nichts ist's«, sagte ich zu Selma und erzählte alles. Aber die Logisleute hatten bereits ein solches Mißtrauen gefaßt, daß sie das Mietgeld brachten und zu Selma sagten, ich sollte womöglich heute noch ausziehen. Auf ihren Gesichtern sah man deutlich, daß sie sich vor mir ekelten. Ich stand auf, suchte herum und mietete diesmal etliche Häuser weiter zwei Zimmer zum selben Preis. Die neue Logisfrau war eine
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