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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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mit in den Simplizissimus , und dort lernte ich eine Unmenge Leute kennen. Maler, Kabarettistinnen, verkrachte Existenzen, begabte Zuhälter, Säufer, Kokainisten und Gelegenheitskokotten, Schieber und Studenten, kunstgewerbliche Mädchen und pazifistische Dichter. Jeder schlug sich auf seine Art durchs Leben. Von Ethik, Menschheit und Kunst diskutierte man, von Seifen und sontigen Schieberwaren, die waggonweise angeboten wurden. Man pumpte untereinander. Klatsch, Geschäft, Erotik, fixe Ideen, Morphium und Kokain gab es hier. Jeder war der Richter über den anderen, freilich sprach er nur seine Meinung aus und erwartete nichts weiter, als daß man ihm zuhörte. Man schwamm sozusagen durch die Zeit und klammerte sich an seine Nichtigkeit.
    Ab und zu bezahlte irgendeiner für alle, weil er auf ein Mädchen vom Kabarett scharf war, dann zog die ganze Gesellschaft nach Schluß, schwerbepackt mit Wein und Schnaps, auf ein Atelier, tobte, tanzte, trank und diskutierte. Das alles gefiel mir ausnehmend und im übrigen - man mußte doch in der Gesellschaft, die Kunst machte, bekannt sein und Bescheid wissen. Das war für mich soviel wie ein literarischer Anfang.
    Dieses Leben kostete Geld, und Tag für Tag trug ich nun Sachen auf das Leihamt, um dabei zu sein. Keine Nacht kam ich mehr nach Hause. Argwöhnisch verfolgte meine Mietgeberin dieses Treiben. Sie wurde immer unfreundlicher.
    Bald hatte ich nichts mehr zum Versetzen. Zum Glück lernte ich Marietta kennen, ein kleines Mädchen von abenteuerlicher Vergangenheit, das damals im Simplizissimus Gedichte vortrug und bei allen Künstlern berühmt war. Sie ging jeden Abend nach Schluß mit mir, erzählte mir alle möglichen Geschichten und gab mir oft ihr letztes Geld. Ich fühlte mich durch eine derartige Bekanntschaft in meiner Künstlerschaft gehoben und vergaß ganz und gar meine Heiratsangelegenheit. Völlig losgelöst war ich, völlig untergegangen in dieser »Sphäre«.
    Schließlich aber kam doch der Heiratstag. Selma nahm bei ihrem Chef einen größeren Vorschuß, wir lösten die nötigsten Sachen ein und zogen nun zusammen. Selma war tagsüber im Geschäft, ich dichtete, und da schon einige Zeitschriften etwas gedruckt hatten, gab ich mich den rosigsten Hoffnungen hin. Aber der Monatserste kam, und wir konnten nicht bezahlen. Ich raffte abermals einen Packen zusammen und wollte zum Pfandverleiher. Dies-mal aber stellte sich Frau Ulbrich drohend vor die Tür und ließ mich nicht hinaus.
    »Wo wolla Sie hin? Bevor nicht bezahlt ist, komma Sie nicht raus da!« schrie sie und war kreideblaß im Gesicht.
    »Ja, Himmelherrgottsakrament, wo werd' ich denn hin wollen? Zum Pfandhaus! Damit ich Sie zahlen kann!« brüllte ich und fuhr sie an: »Geh'n Sie weg und lassen Sie mich geh'n!«
    »Noi, sag ich, noi! Das gibt's nicht!« keifte sie und stemmte sich an die Tür. Die Wut packte mich. »Was!« plärrte ich noch ärger und zwängte sie weg. Es läutete. Ich riß hastig die Tür auf. Hobrecker stand da. Ich rannte durch und riß ihn mit. Hinterher schrie die Logisfrau.
    Als wir nach ungefähr einer halben Stunde wieder zurückkamen, waren beide Zimmer vollkommen ausgeräumt. Alle unsere Habschaften hatte die Ulbrichin an sich genommen. Ich ging zu ihr und fragte, aber ich kam gar nicht zu Wort.
    »So!« fauchte sie. »Ich bin gesichrt! Die Sach' kommt mir nit raus, bevor nit bezahlt ist... Das merka Sie sich, Sie!« Das Sümmchen überschlug sich und brach ab.
    »Da ist das Geld! Ich zieh' heut' noch aus! Geben Sie sofort die Sachen raus oder ich hol' den Schutzmann!« rief ich energisch und legte das Geld hin. Sie zählte und fing auf einmal höhnisch zu lachen an.
    »So?! ... Ja! ... Und was ist's mit dem Kibl, den Sie zerschlaga haba? Was ist's mit dem Vorhang, den Sie beschädigt haba? ... Zahla Sie erseht mal all's, dann könna Sie zieha und Ihre Sacha haba ... Bevor nit!« belehrte sie mich und ging mit mir in großen Schritten ins Schlafzimmer, zeigte mir den Toilettenkübel, der einen kleinen Sprung hatte und den Vorhang, der ein wenig angefranst war. Steif und fest bestand sie darauf, das müßte erst entschädigt werden. »Nein, das zahl' ich nicht! Geben Sie die Sachen her!« wiederholte ich entschlossen. »Ich geh' sofort zum Schutzmann! Wir wollen doch sehen!«
    Und stehen ließ ich sie und lief mit Hobrecker zum nächsten Schutzmann. Der sagte in einem fort, das ginge ihn nichts an und endlich nach langen Überredungen folgte er uns. Unverrichteterdinge

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