Wir sind Gefangene
hagere, adlergesichtige alte Jungfer mit einem ungefähr achtjährigen Sohn. »Ja«, meinte sie in etwas kratzendem, unverfälschtem schwäbischem Dialekt. »Ich will eini Ausnahm' macha ... Wie ich sah, hab' ich's ja mit einem gesetzta Menscha zu tun... Sie könni schon zusammazieha mit Ihra Frau nach der Verheiratung ...« Und dann musterte sie mich noch einmal ausnehmend interessiert und sagte abermals: »Ich denk' doch, ich krieg' rächtschaffna Leit rei, it wahr, Herr Graf? ...« »Ja, sicher, sicher«, erwiderte ich vertrauensvoll leger und sie war's zufrieden. Sie war auch wirklich freundlich zu mir allein, aber jedesmal, wenn Selma kam, verwandelte sie sich komischerweise. Nicht eine Minute ließ sie uns allein. Immer kam sie unter irgendeinem Vorwand herein, nestelte herum, ging fast beleidigt wieder, um kurz darauf abermals zu kommen. Dieses Ausundeingehen wurde nachgerade lästig. Selma wurde ärgerlich darüber. Ich beruhigte sie. Jeder Mensch habe so seine Spinnereien, meinte ich. Das höre sicher auf, wenn wir einmal Eheleute wären. Indessen, je näher dieser Zeitpunkt rückte, desto nervöser schien die Logisfrau zu werden. Vor allem war eines an ihr direkt entsetzlich: Sie war - wenn ich so sagen darf - geradezu penetrant sauber. Jeden Tag, jede Stunde fand sie etwas Neues zum Bekritteln. Wahre Falkenaugen hatte sie. Und wie das schon ist, wenn man in einem fort so gouvernantenhaft bewacht wird, man wird selber ganz zitterig. Einmal schrieb ich einen Brief auf dem Tisch, vergaß aber, die Tischdecke abzunehmen, und da gab es einen Tintenklecks, der absolut nicht mehr zu verbergen war. Die wackere Frau hatte ihn sofort entdeckt. Mit buchstäblichem Berserkertriumph stellte sie mich zur Rede. Sonderbar, sonst hatte sie stets einen beinahe wimmernden Ton, jetzt auf einmal war sie das gerade Gegenteil. »Herr Graf!« rief sie noch vorderhand etwas zarter. »Dies muß ich Ihni gleich saga, die Däck' müsse Sie gutmacha! ... Ich bin eine allei'stehadi Frau! ... So was kann ich mir nimmer leischta, solang ich lab ...« Als ich meinte, so etwas lasse sich vielleicht doch noch herauswaschen, war es völlig aus mit ihrer Freundlichkeit.
»Was?! ... Was saga Sie? ... Rauswascha? ... Noi, Herr Graf, noi! Mit solchi Mietr will ich scho gleich lieb'r gar nichts zu tun haba!« begann sie von neuem und viel heftiger. Sie schnatterte, daß ich nicht mehr gegen sie aufkommen konnte. Streiten war mir von jeher zuwider. Ich versprach schließlich, die Decke zu bezahlen und besprach das mit Selma abends. Die wurde wütend. Nur mit Mühe brachte ich sie wieder zur Ruhe. Wir hatten keinen roten Heller mehr. Zuletzt beschloß ich, morgen einige Sachen aufs Leihamt zu tragen und alles zu regeln.
Fast bedrohlich mißtrauisch maß mich die Logisfrau, als ich anderntags mit dem Paket wegging. Auf der Straße traf ich Hobrecker, der hocherfreut über dieses unverhoffte Wiedersehen war. Die damalige Ohrfeige hatte er längst vergessen. Gleich war er wieder ein Herz und eine Seele mit mir. Ich erzählte ihm rasch alles. Er riß Mund und Augen auf über meine Heiratsabsichten, ging mit ins Pfandhaus und dann auf mein Zimmer. Frau Ulbrich – so hieß meine Mietgeberin - wartete schon. Ich bezahlte und es war wieder einige Tage Ruhe.
Hobrecker besuchte mich nun wieder jeden Tag. In aller Frühe kam er oft und erzählte von seinen »Geldaktionen«. Auch er hatte ein Vermögen zu bekommen und wollte es nun auf dieselbe Weise, wie ich seinerzeit, flüssig machen. Aber das schien nicht so einfach zu liegen, und klar wurde ich auch nicht recht aus ihm. Jedenfalls, berichtete er, die gerichtlichen Schritte seien getan.
Zur Zeit war er Versicherungsagent. Irgendeine finstere Generalvertretung hatte ihn engagiert. Kurzerhand suchte er daraufhin alle seine ehemaligen Wohltäter auf, spielte mit dem üblichen Geschick den biederen Kriegsinvaliden, der nun doch auf einen grünen Zweig gekommen wäre und beredete die Leute so lange, bis sie sich in die Versicherung aufnehmen ließen. Die Beiträge kassierte er sofort und verbrauchte sie unbedenklich für sich. Solchermaßen lebte er auf das fröhlichste dahin, aß in den besten Gastwirtschaften und verkehrte jeden Abend in der Künstlerkneipe Simplizissimus . Überall sprach er von seiner bevorstehenden Vermögensauszahlung und fand Glauben, hatte Kredit, ja, ab und zu borgten ihm sogar die Kellnerinnen noch Geld obendrein. Ich beneidete ihn. Selma haßte ihn.
Er nahm mich nun jeden Abend
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