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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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fünfundzwanzig Mark.
    »Du mußt jetzt schon selber schauen, wie Du durchkommst, sagen hat man Dir ja nie was können«, hieß es im Brief von daheim. »Wir wünschen Dir und Deiner Frau viel Glück, und hoffentlich bringt Ihr Euch rechtschaffen durchs Leben.« Mutter hatte in ihrer schiefen Arbeitsschrift daruntergeschrieben: »Liber Oska, ich hab vertruß gehapt mit meinen Kindern und früh und späd Arbeid, bis ich ins Grap hineinkomm. Bette und beicht auch einmal und werte ein ortenlicher Mensch, grüß Mutter.« Selma war nicht da, als ich das las. Ich ging auf und ab im großen Atelier. Dem Weinen war ich nahe. Überall sah ich Zerrüttung. Das war, als hätte ich mich in unsichtbaren, klebenden Netzen verstrickt, aus denen kein Herauskommen mehr war. Es klopfte. Ich rannte an die Tür und öffnete. Hobrecker stand mit lachendem Gesicht da und trat ein. »Was willst du?« schrie ich ihn an. »Was wollt ihr alle von mir?!« Er fragte hin und her, was denn los sei. Ich antwortete nicht.
    »Mensch, ich seh, du bist in der Klemme«, sagte er nach einer Weile, »dem kann abgeholfen werden ... Beim Roten Kreuz ist was zu holen ... Meld' dich dort ... Und - und, du, da gibt's auch eine Kriegshilfe für die geistigen Berufe ... Jupp! Da hab' ich auch was erschnappt ... Ist alles kinderleicht.«
    »Ich will nichts mehr wissen von dieser Bettelei, ich such' mir Arbeit!« brüllte ich ihn an, aber Hobrecker ließ sich nicht treffen. Beim Roten Kreuz, erzählte er, da wäre ein Mann mit einer langen Nase, so was wie ein literarisch interessierter Deutschkünstler. Von dem bekam' ich sicher was. Und die Kriegshilfe, da wären lauter mütterliche Weiber, eventuell würde mir dort sogar eine Stellung verschafft werden.
    Ich wurde aufmerksamer. Er gab mir eine Zigarette. Ich wurde friedlich, kochte Tee, und er holte Brot und Kunsthonig. Ich las ihm Gedichte vor und zeigte ihm Erschienenes.
    »So was mußt du alles ins Rote Kreuz mitnehmen und zur Kriegshilfe«, riet er mir, »die Leute fallen auf Gedrucktes sicher herein.« Er nannte die Adressen. Als er ging, war ich aufgefrischter. Ich wollte zwar nicht hingehen zum Roten Kreuz und zur Kriegshilfe und versuchte es mit devoten Jammerbriefen. Nach etlichen Tagen kamen gleicherzeit von beiden Stellen gedruckte Karten mit der Aufforderung zu erscheinen. Ängstlich machte ich mich auf den Weg. Mit bieder-wehleidigem Bauerngesicht meldete ich mich beim Roten Kreuz.
    »Arbeiter waren Sie? Bäcker? ... Und jetzt schreiben Sie?« erkundigte sich der Mann, den mir mein Kumpan bezeichnet hatte, und musterte mich interessiert durch seinen Kneifer. Ich zeigte ihm alles, was schon gedruckt war. Der Mann schien sehr erbaut davon zu sein. Er fing gleich ein Gespräch über Literatur an und wurde freundlich. Ich sah ihn genau an.
    Beim Roten Kreuz? Offenbar ein bessergestellter Mann? Vielleicht ein Doktor? Wer weiß, da kann was werden, kalkulierte ich tastend. Was ich von den neuen Dichtern hielte, wollte er wissen.
    »Ja, die dichten alle so intellektuell. Das ist nicht das, was ich will«, sagte ich halb vorsichtig und halb selbstbewußt, und als ich merkte, daß er damit sehr zufrieden war, setzte ich mutiger hinzu: »Wissen Sie, das sind keine Leute ... das sind lauter Kaffeehausliteraten.« Als Mensch, der bettelt, hat man einen ungemein ausgebildeten Spürsinn, man rangiert schon beim Ansichtigwerden denjenigen, welchen man vor sich hat. Man riecht sozusagen seine Gesinnung, seine innere Lagerung. Ich hatte richtig getroffen. Der Mann wurde lebhafter.
    »Ja«, sagte er, »die haben keine Beziehung mehr zum Volk.« In der Art, wie er dies sagte, lag etwas bieder Pfarrermäßiges, etwas Lutherisch-Deutsches. Den Krieg nannte er das gewaltigste Erlebnis der Nationen, die Quelle der Wiedergesundung aller Völker. Eine neue Ethik komme daraus. Ich war im Bilde, vollkommen.
    »Wo waren Sie denn im Feld?« fragte er wieder. »Haben Sie viel durchgemacht?« »Ja«, antwortete ich, »aber davon redet man lieber nicht.« Offenbar faßte er das als jene Bescheidenheit des echten geprüften Helden auf, was ich auch wollte. Er war ganz eingenommen für mich. Er gab mir dreißig Mark. Ich mußte eine Quittung unterschreiben. Als ich gehen wollte, lud er mich ein, ihn einmal aufzusuchen. Er kenne einen Professor, der mir vielleicht nützen könnte.
    Buchstäblich jubelnd rannte ich über die Treppen hinunter. Es ist ja immer so, der geringste Erfolg macht Mut. Sofort suchte ich die Kriegshilfe auf.

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