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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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wollte die Bücherkunden nicht mehr so nah aufeinander haben. Das mußte auffallen. Aber wo, außer Schwabing, hatte ich denn Bekannte?
    Wenn ich im Ende Nanndl aufsuchen würde? Sie wußte, daß ich geheiratet hatte, kam aber nie. Daheim wußten sie es überhaupt noch nicht. Aber nein, das mit Nanndl ging ja auch nicht, sie hieß ja auch Graf. Ich kam auf einmal - jetzt, weil ich etwas Geld hatte - zum Entschluß, heimzufahren. Ich wollte auskundschaften, wie meine Leute zu Selma stünden. Es war zufällig Samstag. Selma kam schon um ein Uhr aus dem Geschäft. Wir verabredeten, nichts von unserem Verheiratetsein zu sagen und fuhren los.
    Mir war sehr unbehaglich, als ich wieder in das kleine Häuschen trat, aber ich machte das fröhlichste Gesicht und benahm mich großmannssüchtig. Mit Bedacht vermied ich es, mit Theres allein zu sein. Aus ihren Blicken las ich, daß sie mir allerhand - und nicht das beste - zu sagen hätte.
    Es war wie immer zu Hause. Mutter arbeitete, machte Kaffee und sagte, was sie gewöhnlich zu sagen pflegte. Emma hatte man in einen Lehnstuhl gebettet, der in der Schneiderstube stand. Sie hob das Gesicht, sah mich an, sah Selma an, dann wieder mich. »Ja«, sagte sie dann zu Selma, »wissen Sie, Fräulein, der Oskar, der braucht eigentlich ewig eine Mutter oder so eine Frau, die ihm - bis er einmal gescheiter ist - das Kindermädl ist. Wenn er einmal darüber hinausgewachsen ist, wird er vielleicht ganz anders ... Schön hat's keine bei ihm ... Spinnen tun wir Grafs ja alle, aber der spinnt am meisten.«
    »Ja, das hab' ich schon gemerkt«, lächelte Selma. Wir trugen Emma im Lehnstuhl vor die hintere Türe des Hauses und unterhielten uns mit ihr. Es war ein schöner, warmer Tag. Frischblau war der Himmel. Stare sangen in den entlaubten Bäumen. Klar leuchtete die Sonne. Die Luft war würzig und hatte einen schweren Duft nach Aufbruch ...
    »Die Jahreszeit ist die gefährlichste für mich«, meinte Emma und atmete schwer. Wieder schaute sie mich an, so als wollte sie sagen: Was hast du nun wieder für eine Dummheit gemacht?
    Ihr Gesicht war noch eingefallener. Es sah aus, als spanne sich nur noch die bloße, durchsichtige Haut um die feinen Knochen. Jene beinahe heiter-traurige Gelassenheit, die absterbenden Menschen eigen ist, glänzte in ihren Augen. Sie war immer noch redselig und lebendig. Für alles interessierte sie sich, für die Bewegungen der Armeen, für die neue Mode, für das Kochen und für die Reden im Reichstag. Sie las sehr viel, denn was anderes konnte sie nicht mehr tun.
    »Ja, der Scheidemann«, sagte sie nachdenklich, »der gefällt mir. Er ist vielleicht ein richtiger Politiker. Er hat neulich im Reichstag zitiert: Hütet eure Herzen sorgfältiger als eure Tore ... Das ist schön ... Aber der Bethmann-Hollweg ist mir doch der liebere. Er ist ein echter Diener. Er ist nicht eitel und grundsolid ...« Auf alles mögliche kamen wir zu sprechen. Es schien, als schweife sie am liebsten weit weg vom Gegenwärtigen, und es tat wohl, neben diesem friedlichen Menschen zu sitzen. Man vergaß alles Widerliche dabei.
    Selma fing jetzt zu husten an und rang nach Luft. Emma erkundigte sich betroffen nach ihrem Leiden. Dann bekam sie einen Moment ganz dünne Falten auf ihrer glatten Stirne.
    »Sie sollten nicht heiraten, Fräulein ... Und den schon gar nicht«, sagte sie mit ihrer schwachen Stimme und blickte mich besorgt an. Sie legte ihren Kopf in die bauschigen Kissen und sah schweigend in den Himmel. Traurig war ihr Gesicht. »Ja ... Mein Gott, jeder muß da selber wissen, was er zu tun hat«, hauchte sie heraus. Und nach einer Pause meinte sie: »Alles ist so kurz, und wenn man meint, es geht an, hört es schon auf ...«
    Ganz nachdenklich war sie jetzt. Wir ließen sie allein und gingen in die Küche. Über Nacht blieben wir. Ich schlief in Maurus' Zimmer und Selma neben Theres. Sie bekam wieder einen starken Asthmaanfall. Alle wurden unruhig, und am andern Tag sagte Mutter in einem unbemerkten Augenblick zu mir: »Die kannst du doch nicht heiraten ... die ist ja schwer krank.« Ich nickte benommen und drängte zur Abfahrt. Ohne gesagt zu haben, daß wir Eheleute seien, nahmen wir Abschied. Theres begleitete uns auf das Dampfschiff. Als wir einstiegen und abfuhren, riefen wir: »Herr und Frau Graf danken schön fürs Übernachten!« Theres schaute verdutzt und lachte betroffen. Am andern Tag schrieb ich einen Aufklärungsbrief, dann kam ein nachträgliches Hochzeitsgeschenk von

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