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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Dort empfing mich eine hochgewachsene, anscheinend adelige grauhaarige Dame mit ein paar Warzen im Gesicht. Ihre Stimme klang männlich, und sehr scharfe Augen hatte sie. Ich mußte erzählen und erzählen und endlich einen Fragebogen ausfüllen. »Mir geht es schlecht, gnädige Frau«, sagte ich mit bestechender Ehrenhaftigkeit, »aber anderen geht es noch viel schlechter ... Man braucht ja nur an die draußen im Feld zu denken ... Wenn Sie mir nur dieses eine Mal helfen könnten.«
    Die Taktik, welche ich beim Roten Kreuz angeschlagen hatte, wollte ich beibehalten.
    Die Dame nahm den ausgefüllten Fragebogen und überflog ihn. »Verheiratet sind Sie auch schon?« fragte sie und lächelte zum erstenmal ein wenig. Sie schaute mich mütterlich an. Ich nickte. Dann lächelte ich ebenfalls scheinheilig und devot.
    »Was brauchen Sie denn am notwendigsten?« fragte sie. Ich spielte den Schüchternen und wollte nicht mit der Sprache heraus. »Da hab' ich einige Kleidungsstücke ... Die brauchen Sie doch sicher?« sagte sie ohne weiteres, stand auf, ging an einen Schiebeschrank und reichte mir daraus einen langen Bratenrock, ohne Hose und einige Krawatten. Obwohl ich ziemlich enttäuscht war, dankte ich hocherfreut und mit größter Unterwürfigkeit. Das riß sie hin.
    »Wir wollen schauen, daß wir Sie unterbringen können. Kommen Sie jeden Donnerstag vorbei und, bitte, hier unterschreiben Sie ... Das Geld können Sie draußen bei der Kasse abheben«, sagte sie. Diese unerwartete Wendung verwandelte mich sichtlich. Mit vielen unbeholfenen Kopfbeugungen und »Dankeschöns« verließ ich das Büro und bekam abermals dreißig Mark. Auf der Treppe schlüpfte ich gleich in den schwarzen Bratenrock und band mir einen Selbstbinder um, denn mit einem solchen Riesenpacken Kleider wollte ich nicht auf der Straße gehen. Das sah zu sehr nach Bettler aus.
    Triumphierend kam ich zu Hause an und erzählte Selma. »Sechzig Mark! Denk mal, sechzig Mark an einem Tag!« rief ich. Selma sagte nichts und zeigte mir die Mahnzettel der Versandbuchhandlung, welche im Briefkasten gelegen hatten. Ich zählte rasch zusammen. »Acht mal sieben sind sechsundfünfzig«, seufzte ich enttäuscht, »Herrgott, ist das dumm.«
    »Und das geht noch Monate so«, meinte Selma. Ich ging trübselig zur Post und zahlte das Geld ein. Ich schrieb wieder ganze Nächte. Selma schlief nebenan. Bei der Feuilleton-Redaktion der Münchner Neuesten Nachrichten bewarb ich mich um Buchkritik und hatte Glück. Dort war der Herr Doktor Kurt Martens. Er antwortete sehr freundlich und bat, ihn in der Redaktion aufzusuchen. Gleich gab er mir Bücher mit. Ich las sie, schrieb die Rezension und verkaufte die Bücher. Auch kleine Schnurren und Artikel unterm Strich brachte ich an. Das spornte mich an. Ich versuchte auch bei der München- Augsburger Abendzeitung Rezensionen zu bekommen, und es gelang ebenfalls. Dort mußte ich die Bücher stets mit der Kritik zurückgeben. Fünf bis sieben Mark bekam ich für so eine Besprechung. Ich wollte nun möglichst schnell und viel verdienen und las kein einziges Buch mehr. Ich lobte sie einfach und fertig. In die Buchhandlungen ging ich, ließ mir Prospekte geben und reimte irgend plausibles Zeug zusammen. Es ging sehr gut. Gedruckt wurde alles, nur war es mitunter sehr gekürzt infolge Raummangels, und da nach Zeilen honoriert wurde, stimmte meistens meine Rechnung nicht. Das machte mich oft ärgerlich. Aber »leichter Verdienst«, sagte ich mir, und »du bist eben doch schon mit einem Fuß in der Literatur«.
    Überhaupt schien es jetzt mit meiner Schriftstellerei etwas besser zu werden. In den Münchner Neuesten Nachrichten erschien zum Beispiel ein Artikel, in welchem ich ein Kriegserlebnis schilderte. Am übernächsten Tag kam an derselben Stelle eine Berichtigung von einem Professor Oskar Graf, daß er nicht identisch sei mit dem Verfasser, und ich bekam von der Redaktion und vom Professor einen Brief, ich sollte - da der Herr Kriegsmaler im Hauptquartier sei und die Verpflichtung habe, nichts zu veröffentlichen, was Krieg beträfe - meinen Namen andern. Was man mir doch schon für eine Aufmerksamkeit entgegenbrachte! Ich war gerührt davon und änderte sofort meinen Namen. Ich hieß mich von jetzt ab Oskar GrafBerg. Das gefiel mir nicht, aber man mußte doch entgegenkommend sein.
    Einige Zeit später traf ich einen Bekannten aus dem Künstlerkreis des Simplizissimus , den Maler Carlo Holzer. Der erzählte mir, daß ganz Schwabing

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