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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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heiratslustigen Töchtern umschwärmt wurde und im Bewßtsein dessen überall den großen Mann spielte, sich in alles mischte und sozusagen die läufige Moral der Jahreszeit war. Dieser Wicht von einem entlassenen Unteroffizier, den wir schon hundertmal in unseren früheren, selbsterfundenen Geschichten gefangengenommen, gehängt, erschossen, gerädert und gevierteilt hatten?! Der hatte das gesagt? Der lebte immer noch?! Ich rannte zum Schuster. »Was hat der Postbote gesagt?«
    Der alte Mann wollte ausweichen. Ich drang in ihn. Endlich gab er zu: »Gefragt hat er, der Schnüffler, was ich mir da in einem fort schicken laß'... Ich war baff und sag', ich weiß nicht, was drinnen ist in den Packerln ...« Jetzt spukte es. Ich rannte wieder nach Hause. Erzählte Nanndl. Kalkulierte: So oder so! Aufkommen tut es doch einmal! Ich muß fort! Fort! Also Flucht - aber wie? Ich überlegte hin und her.
    Wie schon gesagt, hatten wir nebenher einen ausgedehnten Spezereiladen, verkauften Spiritus, Hosenträger, Hülsenfrüchte, Bänder, Schokolade, Zigarren und Zigaretten usw. Da gab es also allerhand, was man brauchen konnte, wenn man flieht.
    Ich suchte in der Rumpelkammer den Reservistenkoffer Eugens, steckte ihn auf den Heuboden und füllte ihn langsam. Ich stahl etliche Seifen aus dem Laden, zwei Flaschen Spiritus, Kerzen, eine Unmasse Maggiwürfel, Tee, ein Pfund Salz, ein Paket Zucker, Kragenknöpfe, Briefpapier, Federn und Tinte. Die erste Hälfte des Koffers war voll. Sodann suchte ich mir meine Hemden, holte einen alten Spirituskocher aus der Anrichte in der Küche, Zündhölzer, ein paar Handtücher, ließ zwei Büchsen Kakao verschwinden und packte das ganze mit meinen Schuhen und etlichen Kleidungsstücken in die andere Hälfte, sperrte ab und verdeckte den Koffer mit Heu. Jetzt war mir leichter. Immerhin war ich fluchtbereit. Ja - aber du dummer Teufel, dachte ich plötzlich im Hinunterschleichen, zu einer Flucht braucht man doch vor allem Geld! Und eine furchtbare Angst erfaßte mich abermals. Wo Geld herbekommen?
    Im fliehenden Gedankenhinundher erinnerte ich mich plötzlich an das Sparkassenbuch, das mir meine Mutter am Geburtstag zum letztenmal gezeigt hatte. Dreihundert Mark hatte ich schon. Mit einer solchen Summe ist man Herr der ganzen Welt, dachte ich. Sofort schlich ich in die Kammer der Mutter, schnüffelte alles aus. Nichts war zu finden. Weder im Schrank noch im Nachtkasten lag das ersehnte Kleinod. Aber das Mauerkästchen mit der Madonna darüber war abgeschlossen. Das war soviel wie eine stumme Gewißheit. Hier mußten die Sparkassenbücher verborgen sein. Wo aber war der Schlüssel? Ich suchte und suchte. Nichts war zu finden. Wie verloren schlich ich an mein Bett zurück und wartete, bis Mutter die Stiege heraufkam. Der Geselle war zum Glück ins Wirtshaus gegangen. Kaum hatte Mutter die Tür ihrer Schlafkammer zugemacht, war ich am Schlüsselloch. Und richtig. Sie betete ihr Abendgebet, ging an die Wand, hob die Madonna etwas an die Seite und holte einen kleinen Schlüssel heraus. Dann schloß sie das Kästchen auf. Ich wußte alles und war zufrieden. Befreit kehrte ich in mein Bett zurück. Höchste Zeit. Der Geselle hüstelte bereits über die Stiege herauf. Am andern Tag hatte ich das Sparkassenbuch. Nichts ereignete sich. Tag auf Tag verrann. Meine Nerven waren überreizt. Ich schlief schlecht. Wieder stürzte ich mich in die Bücher, aber alle Sammlung war fort. Täglich, stündlich konnte die Katastrophe kommen. Nichts geschah. Es mochte wohl drei Uhr nachmittags sein. Fertig mit dem Backstubenaufräumen, setzte ich mich auf die Bank und nickte langsam ein. Auf einmal ging die Tür auf, und Max stand drohend vor mir, packte mich. Nur »Du!« hörte ich noch und etwas von Briefbote, Nachnahme und Schuster. Schon sausten die eisernen Fäuste auf mich nieder. Max schleppte mich hinauf an den Schrank, griff meine Taschen aus, sperrte auf, dann die Geheimtüre und riß die Bücher heraus. Ohne Unterlaß schlug er dabei auf mich ein. Das Blut floß mir schon vom Schädel. Ich biß die Zähne zusammen und schloß die Augen. Ich bekam Schweiß und Eiseskälte, immerzu hämmerten die Hiebe. Plötzlich fiel ich lang hin. Als ich aufwachte und mich umsah, war es still. Die Uhr zeigte Viertel nach vier. Ich stand auf, putzte mich sorgsam ab, schlich in den Stall hinunter, ließ kaltes Wasser über meinen brummenden Kopf rinnen und wusch mich frisch. Wieder in der Gesellenkammer, zog ich meine

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