Wir sind Gefangene
werden sagen: »Schön hat sie's bepflanzt, das Grab ... sehr schön.«
Meine Kehle war wie zugestopft. Ich hatte die Augen offen und sah nichts, ich dachte immer das gleiche. »Alles ist so kurz, und wenn man meint, es geht an, hört es schon auf«, kam mir ins Gedächtnis, und wieder sah ich Emma im Bett liegen und traurig lächeln. Wenn alles so ist, warum dann leben, wenn der Anfang schon das Ende gewiß macht?, flog in irgendeinem Gedankenwinkel auf. Ruckweise bemächtigte sich meiner eine seltsame, gleichsam von allem Wirklichen losgelöste Traurigkeit. Wie von ungefähr nahm ich ein Stück Briefpapier aus meiner Brusttasche und schrieb darauf:
»Dies ist uns Blutverfluchten
das tröstende Gebet in der Verwesung Finsternis und Qual:
Wenn wir auch alle einsam und verhöhnet sterben,
so sind wir doch, o Gott, zu dir emporgewachsen!
Es kann nicht sein, daß ausgesäet wird,
daß Erde blüht und fruchtet für das Nichts!
Die tiefen Dinge kreisen endlos um die Schmerzensachsen des Alls und raunen sich noch sterbend ihr Getanes in das Ohr ... Und einmal wird ein Tag sein, den wir ewig suchten - wie Pyramide strahlend aus entnütztem Schwall der Gnade trägt in alle gierverruchten Wahnjahre unsrer Erdenpein.« —
Ich schwitzte jetzt. Alle Traurigkeit war weggelöscht. Ich spürte etwas wie eine dumpfe Auflehnung aufsteigen. Ich sprang auf, schaute über die Felder, über den See und war ganz ruhig. Eine unerklärliche Gewißheit war in mir. Kurz vor dem Dorf blieb ich stehen und sagte plötzlich, wie wenn ich mich gegen wen verteidigen wollte, stolz und kindisch zugleich: »Es ist ja alles gar nicht wahr! ... Es ist ja viel anders!«
Zu Hause traf ich zum erstenmal nach meiner Verheiratung Nanndl wieder, die inzwischen auch aus München heimgekommen war. Sie war zerrüttet und weinte fast immerzu, so daß ich gar nichts mit ihr reden konnte. »Kriegt denn der Maurus keinen Urlaub?« fragte ich die Mutter. »Tja, da kommst grad' recht!« meinte Mutter.
»Er käm' ja doch nicht mehr recht zur Beerdigung«, sagte Resl. Einsilbig verlief der Abend. Einer wich dem andern mit dem Blicke aus. Niemand wollte reden. Am andern Tag war das Begräbnis. Viele Verwandte und Bekannte waren da. Zermürbt stand Mutter am Grab, Moni neben mir heulte, als sei ihr Liebstes gestorben, und Resl und Nanndl brachen dann auch in ein Weinen aus. Ich stand abwesend da und bekam kein nasses Auge mehr. Ich war nur ärgerlich darüber, daß ich keinen Kranz hatte kaufen können. Alles musterte mich, und es waren keine sehr guten Blicke.
Leicht war ich weggegangen von zu Hause. Erst in der Stadt wurde ich wieder bedrückt. Endlich, nach ungefähr einer Woche, fand ich Stellung in der Brotfabrik Rauber. Wie gewöhnlich gab es wieder Nachtarbeit, auch sonntags. Wie ausgestorben waren die großen Hallen der Fabrik. Nur zwei Öfen brannten und bloß ein Schießer (erster Geselle) und ein Lehrling waren außer mir noch da. Durch die Markenwirtschaft war der Brotkonsum zurückgegangen.
Früher arbeiteten hier zehn Gehilfen, nun bewältigten wir drei alles. Zu tun war viel. Ich hatte Teigknetmaschinen zu versorgen. Die Tafeln (Arbeitstische) standen so, daß wir den Rücken den Öfen zugekehrt hatten. Da röstete man langsam. Das Hemd war zu heiß. Nur in der Hose, mit nacktem Oberkörper, arbeiteten wir. Der Schweiß rann und kochte auf der Haut. Mein Rücken wurde wund, genauso wie damals in der Mühle. Ganz kleine Wasserbläschen entstanden auf ihm. Die brachen mit der Zeit auf und brannten grimmig. Wenn ich nach Hause kam, klebte das Hemd auf der Haut. Ich riß es mit einem Ruck herunter und ließ mich mit kaltem Wasser überlaufen. Das kühlte. Aber wenn ich aufhörte, fing der Körper noch ärger zu brennen und zu jucken an. Ich schlief auf dem Bauch. Gott sei Dank! Es war ja noch nicht Herbst. Da brauchte man keine Decke im heißen Atelier und mußte sie beim Aufwachen nicht wegreißen vom Körper.
Abends, wenn Selma kam, weckte sie mich auf. Wir saßen wortkarg beisammen, und ich sah ab und zu besorgt auf ihren wachsenden Leib. Gegen halb acht Uhr ging ich fort. Brot hatten wir nun immer.
X
ES WIRD BEWEGTER
Der Herr vom Roten Kreuz traf mich eines Tages auf der Straße. Ich wollte ihm ausweichen, aber er ging freundlich auf mich zu. Warum ich nie etwas hören ließe, wollte er wissen.
»Ich hab' wieder Arbeit jetzt. Ich bin wieder Bäcker«, sagte ich. »So?« fragte er interessiert, »und da dichten Sie nebenbei, was?« Ich
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