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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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wippten vorüber, alte Männer saßen herum und redeten. Die Vögel sangen in den Bäumen und das dumpfe Geräusch der Straßen kam herüber, alles lief in der gewohnten Ordnung. Wenn man die Augen zumachte, war es, als sitze man in einem warmen Glaskasten, an dessen Wänden unzählige Käfer kratzend auf und ab krabbelten. Unablässig, mit irritierender Emsigkeit, derart, daß man ganz dumm davon wurde. Eine Uhr schlug in der Nähe. »Herrgott, schon wieder fünf Uhr!« murmelte ein alter Mann neben mir.
    »Jaja, die Zeit vergeht wie nichts ... Was das noch alles wird ... Man mag gar nicht nachdenken, sonst hängt man sich auf«, sagte ein anderer gelangweilt, und als ich hinschaute, war es ein Kriegskrüppel mit einem schaurig zugerichteten Gesicht. Ich stand auf und ging. Stumpfsinnig wartete ich auf dem Atelier, bis Selma kam. »Hast du schon was?« fragte sie.
    »Nein, gar nichts ist frei«, erwiderte ich kopfschüttelnd. Wir redeten fast nichts miteinander. Jeder war bedrückt. Einmal an einem solchen Abend lag ein Telegramm im Briefkasten: »Emma ist gestorben, komme heraus, Theres.«
    Es war, als habe ein Windstoß mit einem Male das Hirn aus meinem Kopfe geblasen. Dann wieder, als fülle sich der Kopf mit Blei. »Die Emma ist gestorben, die Emma ist gestorben, hm, die Emma ist gestorben«, plapperte ich Selma fort und fort an. Sie nahm das Papier und las interessiert.
    »Hm, und wir haben keinen Pfennig Geld! ... Du mußt doch heimfahren«, sagte sie, »einen Kranz können wir nicht kaufen, aber heim mußt du schon ...«
    Ich tappte ins Schlafzimmer und suchte mechanisch alles Versetzbare zusammen. Fünf Mark brachte ich. Am andern Tag in der Frühe fuhr ich nach Berg.
    »Hm, jetzt ist sie so schnell gestorben«, brachte ich bloß heraus, als ich vor meiner Mutter in der kleinen Küche stand. Theres kam. Wir schauten uns bloß stumm an.
    »Liegt schon im Leichenhaus droben«, sagte Mutter trübselig und begann zu weinen. Auch Theres bekam nasse Augen. »Hm, so schnell«, murmelte ich benommen, »so schnell jetzt.«
    »Arg leiden hat sie noch müssen«, seufzte Mutter, sich wieder an die Arbeit machend, »jetzt hat sie's überstanden ... Es ist besser so, als wie wenn sie noch lang hinleiden hätt' müssen.« Sie wischte sich ihre Augen aus und stellte mir den Kaffee hin: »Da, trink jetzt ...« Dann erfuhr ich, wie Emma gestorben war. Mutter kochte gerade Zwetschgen ein, als der Todeskampf begann. Theres schneiderte wie gewöhnlich. Emma lag droben, über der Schneiderstube, im Bett und redete bis zuletzt. Durch die Holzdecke ging das blechumränderte Ofenrohrloch, welches man freigemacht hatte, damit man ständig hörte, was die Kranke wollte.
    »Standhaft ist sie gewesen«, erzählte mir Mutter von der Sterbenden, »wie ich ihr die Suppe heraufbracht hab', ist schon ihr Gesicht aufgelaufen und verzogen hat sich alles an ihr, aber gejammert hat sie nicht... Standhaft ist sie gewesen.
    Wie ich dann das Zwetschgeneinkochen angefangen hab', hat sie in einer Tour gesagt: >Gell, Mutter, daß du's fei recht machst, gell! ... Ich stirb ja jetzt, gell! ... Langsam und lang kochen, gell ... Und spar' nicht so mit dem Zucker ... Jetzt ist's gleich vorbei ... Mach's ja recht, gell, Mutter ... Ich stirb ja und da habt ihr dann im Winter was Gutes, aber mach's recht ... lang kochen, gell, paßt's auf ... Ich bin ja bald nimmer da ... Wo ist denn die Nanndl, telephoniert's dem Oskar ... Wieviel hast' denn Zucker genommen, Mutter? ... Resl! Resl! Geh' schnell rauf, jetzt hört's gleich auf ...< «
    Dann war Theres hinaufgegangen, und als Mutter nachkam, war Emma schon tot. Theres zeigte mir einen Zettel. Darauf stand in zitteriger Bleistiftschrift: »Alles gehört der Resl, lebt wohl, Emma.« Das hatte sie gerade noch hinschreiben können.
    Ich las die Botschaft mit einem mehr schaurigen als schmerzlichen Gefühl und sagte niedergeschlagen: »Jaja, das ist ja selbstverständlich, daß dir alles gehört.« Einsilbig trank ich meinen Kaffee aus. Eine drückende Stille war im Haus. Ab und zu seufzte meine Mutter schwer auf.
    Während ich so dasaß, erinnerte ich mich an alles. An den Brief, den mir Emma einmal geschrieben hatte, als sie schon bettlägerig war. »Lieber Oskar«, hieß es darin, »ich baue in einem fort Luftschlösser in meinem warmen Bett. Unser Häuschen ist sehr nett jetzt, und ich werd sehr verhätschelt. Ich denk' mir immer, wir kommen noch einmal alle bei uns zusammen und machen es uns gemütlich. Der

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