Wir sind Gefangene
der Stoß durchgelesen war. Ich kam mir vor wie ein vielbegehrter Mann, eine Macht war ich, ja beinahe eine Epoche. Die Manuskripte sandte ich auf der Stelle zurück und schrieb dazu im Stil uralt eingesessener Redaktionen: »Von Ihrer Einsendung haben wir mit Interesse Kenntnis genommen, können aber zu unserem Bedauern keinen Gebrauch davon machen, da wir für die nächsten Hefte bereits eingedeckt sind.«
An meine Berliner Bekannten schrieb ich. Jung antwortete grob, Oehring überhaupt nicht, der Brief an Schorsch kam zurück mit dem Vermerk: »Adressat verreist.«
Ich wandte mich an Thomas Mann. Er sandte eine Postkarte, schrieb sehr freundlich und begrüßte das neue Unternehmen, wünschte viel Erfolg.
Ich war auf der höchsten Höhe. Selma murrte, das Geld war weg. »Es geht doch mit Riesenschritten vorwärts!« rief ich emphatisch. Ich hörte nicht auf ihre Einwendungen. Wenn einmal eine fixe Idee unaufhörlich in einem Hirn rumort und Ehrgeiz und Dummheit gleichermaßen in einem wüten, wird man waghalsig. Ich ging plötzlich nicht mehr zur Post. Mit Hobrecker lief ich wieder jeden Abend in die Künstlerkneipe Simplizissimus . Jedermann wußte von meinen Plänen. »Was ist Neuland eigentlich?« fragte man mich. Ich erklärte gewichtig die dümmsten Dinge.
»Na eben Literatur«, sagte ich beispielsweise, »das wird sich schon zeigen.« Hier, dieser Instinkt leitete mich, durfte man sich nicht klein zeigen. Literaten sind die geborenen Sprüchemacher und Scharlatane. Sie leben von der Einbildung und heben sich immer über den anderen. Aber ich war nicht so redegewandt. Man sah mich schief an. Man lächelte schon mitleidig. Ich schwieg auf einmal. Um Hobrecker hatte sich bereits eine Gruppe von Leuten herumgemacht, die ihn gleichsam völlig mit Beschlag belegte. Er entglitt mir. Ich konnte tun, was ich wollte. Er hörte nicht mehr auf mich und lächelte bereits genauso wie alle anderen, wenn ich ihm meine Pläne auseinandersetzte. Ich schimpfte auf das Künstlerpack. »Hm, Bürger!« sagte er verächtlich.
Ich bekam eine unbeschreibliche Wut, bezwang mich und wollte ihn nicht mehr auslassen. Aber er entfernte sich. Die Gruppe hatte gesiegt. Eines Tages sagte mir die Logisfrau, Hobrecker sei mit der ganzen Gesellschaft verreist.
Im Simplizissimus erfuhr ich, die ganze Tafelrunde sei nach Remscheid, um das Vermögen zu holen. Verdrossen zog ich mich zurück. Verlag und Zeitschrift Neuland waren zu Ende. Die Briefbogen verstaubten. Ein Bekannter traf mich auf der Straße und berichtete von Hobreckers Rückkehr.
»Ganz Schwabing lebt von ihm augenblicklich! ... Er ist blödsinnig geworden und schreibt in einem fort Schecks aus ... Sogar solche über zwei und drei Mark ... Bei der Bank stehen sie Polonäse ... Mensch, ist das ein Idiot! ... Jede Nacht gibt's Sektgelage ... Ein richtiger, wildgewordener Volksschullehrer!« erklärte er.
»Da hast du es mit deinen Freunden«, sagte Selma. Ich antwortete nichts darauf. Um wenigstens irgendwo meine Wut auszulassen, schickte ich die noch einlaufenden Manuskripte mit groben, gemeinen Begleitbriefen an die Absender zurück.
Der Herr vom Roten Kreuz fiel mir wieder ein. Ich suchte ihn endlich auf. Seine Frau empfing mich. Sie war lang und dürr und hatte ein zerwaschenes Reformkleid an. Alles an ihr, von der Gretchenfrisur bis zu den ausgetretenen Sandalen, hatte etwas peinlich Reinliches und Sparsames. Ihr ziemlich ältliches, hageres, gewissermaßen protestantisches Gesicht war mir schon beim ersten Anblick zuwider.
»So, soso! Ja, das ist aber schön, daß ich Sie einmal kennenlerne. Mein Mann hat mir ja schon so viel von Ihnen erzählt ... Er wird gleich kommen, setzen Sie sich einstweilen ins Wohnzimmerchen«, sprudelte sie heraus und führte mich in einen kleinen, behaglichen, frischgescheuerten Raum. Sie lächelte, entschuldigte sich und staubte weiter die Möbel ab. Wir unterhielten uns. Sie war sehr patriotisch und sprach immerfort von Deutschlands Größe und Unüberwindlichkeit. Zwischendurch erfuhr ich, daß sie einer altpreußischen Familie entstammte und einen Bruder hatte, der als Offizier im Westen war.
Dann kam der Mann. Sie ging schnell auf den Korridor hinaus, und die beiden lispelten geschäftig. Unbehagen überkam mich.
Jetzt sprachen die zwei laut miteinander und kamen endlich herein. »So, das ist recht! Also doch einmal! ... Na, was machen Sie denn jetzt?« fragte mich der Mann ein wenig väterlich.
»Ja, ich hab' grad' keine Arbeit und
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