Wir sind Gefangene
nickte.
»Können Sie uns nicht einmal besuchen? Abends vielleicht?« fragte er abermals.
Ich schüttelte den Kopf: »Nein, da geht ja meine Arbeit an.«
»So ... Oder geht es vielleicht dann unter Tags einmal?« »Da schlaf ich.«
Der Herr schaute mich an.
»Oder vielleicht können Sie sonntags einmal zu uns kommen?« »Da ist's das gleiche. Da geht's gradsowenig«, war meine Antwort. Dies verdutzte den Mann ein wenig. Ich mußte ihm das Bäckersein erklären.
»Hm«, sagte er endlich wieder, »das ist allerdings zu schwer für Sie ... Sie müßten etwas Leichteres haben.«
Ich sah ihn mit jener versteckten Abneigung an, die ein Arbeiter immer hat, wenn ihn einer ausfragt, der von solchen Dingen nichts versteht. Er merkte nichts und fing wieder mit dem interessierten Professor an, der mir helfen könnte.
»Wissen Sie, bei Ihnen ist alles so ursprünglich, Graf«, sagte er schon fast wie ein Freund, »Sie dichten aus Notwendigkeit.« Er lobte mich und zog Vergleiche zwischen mir und Gottfried Keller. Der wäre auch sein Leben lang Staatsschreiber gewesen, und das sei ganz gut, wenn ein Dichter Arbeit habe, dann komme alles, was er »gestalte«, aus einem festen Boden. Ich nickte jedesmal und sagte ab und zu: »Jaja, ja sicher ... freilich, freilich ... jaja ...« Heimlich aber dachte ich: Du hast gut reden. Sitzt geruhig im Fett und redest anderen, die schwer arbeiten müssen, Löcher in den Bauch, wie schön das ist, sich für andere abzuschinden. Was geht das mich an! Dennoch versprach ich schließlich, an einem Nachmittag zu ihm zu kommen.
Ich hatte vollauf zu tun. Auf keinen Fall wollte ich die Buchkritik aufgeben. Beim Tag auf die Redaktionen laufen, dann mit den erhaltenen Büchern zur Schreibmaschinenschule, um die Rezensionen zu tippen, endlich gegen fünf oder sechs Uhr abends ins Bett und von acht Uhr ab wieder die ganze Nacht Bäckerarbeit, das war ein schlimmes Gehetze. Während des Teigwirkens knickte ab und zu der Kopf herunter, die Augen fielen mir zu, die Arme wollten nicht mehr. Der Schießer brummte schon hie und da. Mit ängstlicher Energie riß ich mich immer wieder aus der Lahmheit.
»Das ist zu schwer für Sie«, hatte der Herr vom Roten Kreuz gesagt. Ich dachte darüber nach und wurde allgemach ärgerlicher und mürrischer über dieses Schuften. Durch Zufall erfuhr ich, daß bei der Hauptpost sogenannte Vorsortierer aushilfsweise gesucht würden. Ich blieb einfach weg bei Rauber, erbat in einem gewundenen Brief Zeugnis und Invalidenkarte und trat nach zirka einer Woche bei der Post die Stellung an. Hier war es wirklich viel besser. Zu vierzig oder fünfzig saßen wir in einem großen Saal. Jeder vor einem vielfächerigen Regal, in dessen Fächer er die jeweils sortierten Briefe warf. Alle möglichen Leute waren da. Invaliden, Berufslose, verarmte Rentner, Gelegenheitsarbeiter und Intellektuelle. Dienstzeit war von acht Uhr früh bis zwölf Uhr mittags, dann wieder frei bis abends acht. Und von da ab abermals bis zwölf Uhr nachts oder umgekehrt. Das Schöne dabei war: Manchmal hatte man gleich ein und einen halben Tag frei.
Unterhaltlich war es. Man konnte sich drücken. Im Abort draußen standen wir oft zu fünft oder sechst, rauchten Zigaretten und machten Handelschaften ab. Alles mögliche wurde hier angeboten: Seife, Butter, gehamstertes Fleisch, Uhren, alte Anzüge, Bezugscheine und Brotmarken, Schuhe und sogar einmal eine ganze Möbelausstattung. Einer stand Wache und meldete, wenn ein Vorgesetzter kam, die anderen handelten. Handschlag und fertig. Das Signal des Spähers trieb uns im Nu in die Aborte. Wir räusperten und schnauften drinnen, als drückten wir aus Leibeskräften. War die Gefahr weg, ging der Handel von vorne an.
Da wollte ich aushalten. Am Ende bewährst du dich, man behält dich und ohne große Schwierigkeiten kannst du Briefträger werden, kalkulierte ich.
Was war es denn schon alles gewesen mit diesen interessierten Leuten allen? Beim Bruckmann Kistenschlepper, und wer weiß, was der Herr Professor alles wollte! Umsonst kümmert sich heutzutage keiner mehr um den anderen.
Aber Briefträger! - Das war doch gewiß eine einwandfreie Angelegenheit! Postsachen hatte ich ja von jeher gern, und Briefschaften aus aller Welt herumtragen? Eigentlich ist das ideal. Der Postbote geht den ganzen Tag gemütlich spazieren, braucht sich nicht plagen, sieht alles, hört alles, bekommt Anregung und ist sogar ein angesehener Mensch. Das schien mir der für mich einzig
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