Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
der neue Name nicht gefalle. Holzer war ein Mann, dem sozusagen Stefan George in Fleisch und Blut übergegangen war. Nicht nur, daß er bei jeder Gelegenheit Verse dieses Dichters rezitierte, auch seine Stimme, seine Bewegungen waren irgendwie Georgisch. Der Mann war für Klangwirkung. Er blieb tiefsinnig auf der Straße stehen, faßte sich an die gefurchte Stirn, dachte nach und sagte auf einmal: »Oskar Graf-Berg? Das ist profan! Heiß dich doch einfach Oskar Maria Graf.« Das Wort »Maria« sprach er bedächtig breit und bedeutend aus, so als habe er das Tiefsinnigste von der Welt aufgefunden. »Oskar – Ma ria - Graf «, wiederholte er getragen. »Mensch! Schnieke! Oskar Maria Graf«, rief ich sofort begeistert, »das ist praktisch. Jetzt, wenn ich Mist schreibe, heiß' ich Oskar Graf-Berg, und wenn ich was Gescheites fertigbring', nenn' ich mich Oskar Maria! Sehr fein! Ausgezeichnet!« Ein wenig verdutzt über eine solch nüchterne Auffassung, lächelte der Maler und ging. Aber mit all dieser Literatur kam ich nicht aus der Geldverlegenheit. In einen wahren Hexenkessel war ich mit den Buchbestellungen geraten. Monatsraten, nichts als Monatsraten mußte ich bezahlen. Zerwürfnisse mit Selma gab es dessentwegen.
    Schon öfters hatte ich bei der Kriegshilfe nachgefragt wegen einer Stelle. Eines Tages kam ich wieder und mußte gleich zur Vorstandsdame. Sehr freundlich sagte sie: »Gehen Sie gleich Karolinenplatz zwei zu Herrn Geheimrat Bruckmann. Dort können Sie vielleicht Privatsekretär werden, wenn Sie sich bewähren. Ich hab' Sie sehr empfohlen.«
    Ich dankte und begab mich dorthin. Auf dem ganzen Weg schwelgte ich in der romantischen Vorstellung, daß ich nun ungefähr so wie die früheren klassischen Dichter bei ganz feinen Leuten aufgenommen werden würde. Ich sah mich als bevorzugten, bescheidenen, jungen, talentierten Mann im Kreis eleganter, geistreicher Damen und Herren, die sehr interessiert für mich waren. Mit einem Wort, eine große wohltuende Welt breitete sich in meinem Hirn aus.
    Hoffnungserregt kam ich im Haus am Karolinenplatz an. Ein gediegen-weltmännisch aussehender Herr mit einem schön zugeschnittenen, halblangen Vollbart empfing mich und erklärte mir, was er für Ansprüche mache. Es sah aus als gefalle ich ihm. »Wissen Sie, Sie haben zwar hauptsächlich an der Schreibrnaschine zu tun ... Aber Sie können doch auch Kisten schleppen, nicht? ... Sie sind stark gebaut«, sagte er und fixierte mich in einem fort mit einem halb ironischen Lächeln, das mich verlegen machte.
    »Jaja, ich hab' ja schon als vierzehnjähriger Bub Säcke geschleppt daheim, ich war früher Bäcker ... Ich hab' auch schon in einer Mühle gearbeitet und den ganzen Tag Zweizentnersäcke geschleppt vor dem Krieg«, erwiderte ich bereitwillig. Einen möglichst guten Eindruck wollte ich machen.
    »So ... Ja, schön«, meinte mein zukünftiger Chef zufrieden, »so, also setzen Sie sich einmal an die Schreibmaschine. Wir wollen mal sehen, wie Sie schreiben ...«
    Ich tat es. Die Schreibmaschine war ein mir völlig unbekanntes System mit unsichtbarer Schrift. Ich wurde zitterig, als der Herr zu diktieren begann. Ich tippte unsicher und mit aller Schnelligkeit, um meine Fixigkeit zu zeigen. Deutlich fühlte ich, daß ich mich fort und fort verschrieb. Der Herr hob nach einer Weile die Gummiwalze und betrachtete das Geschriebene.
    »Hm? ... Sie sagten doch, Sie könnten ganz gut schreiben?« fragte er. Ich wurde rot und verwirrt und stockte. »J-ja, aber diese Maschine hab' ich noch nie geschrieben ... Das System kenn' ich nicht ... Ich müßte halt erst üben«, stotterte ich heraus und schaute den Herrn hilflos an. »Nein - nein! Dazu haben wir keine Zeit«, sagte der kurz und entließ mich.
    Ich ging nicht mehr zur Kriegshilfe zurück, um die Nachricht zu überbringen. Verdrossen wanderte ich auf die Stellenvermittlung der Bäckerherberge. Nichts war frei. Jeden Tag ging ich nun wieder dorthin. Ergebnislos. Es wurde immer grauer um mich herum.

IX
EINE SEKUNDE LICHT IM SCHATTEN

    Es war Sommer geworden. Später August lag über den Straßen. Schwer und schon ein wenig herbstlich-träumerisch war die Luft. Bis fünf Uhr nachmittags hockte ich oft unentschlossen auf einer Anlagenbank und glotzte in das Treiben um mich herum. Ein Buch hatte ich stets in der Tasche, las es aber nie. Ich schaute bloß ins Leere. An nichts dachte ich. Ich wollte nicht weiterdenken. Kinder lärmten in den Anlagen, Weiber schimpften, Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher