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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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(oder Gelingen) ansieht, was in Wahrheit sozialbedingt ist.
    Tatbestände, die wenige Jahre später Alfred Döblin im »Berlin Alexanderplatz« auf der Ebene des Fiktiven beschrieb, hat Oskar Maria Graf in seiner Autobiographie vorweggenommen: Hier wie dort die Darstellung eines Plebejers, der sich durchsetzen möchte: nach oben! ans Licht! Hier wie dort das Doppelgesicht der Entfremdung: Ausgebeutetsein und Schiebertum. Hier wie dort das Thema: So wie die Verhältnisse sind, in der Gesellschaft, gibt es Freiheit für den Unterdrückten allein noch im Irrsinn - Verrücktheit als einzige Möglichkeit, bei sich selber zu sein. Hier wie dort, der entscheidende Punkt, die emphatische Umkehr der Perspektive am Ende: Statt des »Ich« das »Wir«; statt der individualistischen Blindheit (»Ich bin ich« als die gemeinsame Devise von Bäckergesellen und Transportarbeiter) die durch die Solidarität verbürgte Erkenntnis eines Kollektiv-Elends, das, um beseitigt zu werden, kollektiver Anstrengung bedarf - und kollektiven Opfermuts. (»Ich wartete auf nichts mehr als auf meine Verhaftung«, heißt es in der zentralen Passage des Grafschen Buchs am Ende des vorletzten Kapitels, »ich wünschte sie mir. Ich wußte endgültig wohin und zu wem ich gehörte.«)
    Man kann es nicht oft genug sagen: Oskar Maria Graf war kein tumber Erzähler, der sein Handwerk nicht so richtig beherrschte, kein volkstümlich dahinplaudernder Homeride aus Oberbayern (»Das Volk ist nicht tümlich«: Der Brechtsche Satz gilt auch, und vor allem, für Graf) - er war belesen und hatte, als Epiker, einen Sinn für Ökonomie und Kalkül ... wie sehr, das beweist sein autobiographischer, zurecht von so unterschiedlichen Autoren wie Thomas Mann und Maxim Gorki gepriesener Roman. Da wird ein aufsteigender Lebenslauf, vom Bäckergesellen zum Bohemien, vom geprügelten Dörfler zum aufsässigen Anarchisten als Verharren in halb erzwungener, halb selbstverschuldeter Isolation decouvriert; da sieht sich ein Episodenbündel - alles im Wechsel von Szene und Bericht munter dahin erzählt - am Ende der beiden Teile auf das Raffinierteste, im ausgeklügelten Entsprechungs-Spiel, geschürzt: Zweimal das gleiche Thema, der Weg aus der Gefangenschaft in die Freiheit - einmal als individuelle Scheinlösung (Erlösung durch Selbstbehauptung am Rande des Wahnsinns), das andere Mal als Kollektiv-Befreiung, die zugleich die Freiheit des Einzelnen, seine Lösung aus dem Getto der Elendsbehausungen verbürgt. Im gleichen Augenblick, wo »der winzige Kreis« zerbirst (»Ich war mehr als bloßes >Ich< «, heißt es, im Stil der Me nschheitsdämmerung , im Epilog, »ein großes Glück durchströmte mich«) - im gleichen Augenblick werden Vokabeln wie >Gott< oder >Liebe< wieder Realität.
    Ein intelligent geschriebenes Buch also - nicht einfach draufloserzählt, sondern auf eine Pointe, die Umkehr am Schluß, hin geschrieben - auf eine leise Pointe wohlgemerkt: Von Solidarität mit den Opfern, von der Freiheit dessen, der ins Gefängnis geht (weil er nicht länger mehr in >Freiheit< ein Gefangener sein will): von der Erkenntnis im Martyrium (wie es Jahre vorher die Expressionisten beschworen, Ernst Toller voran) ist die Rede, von Brüderlichkeit und Gewaltlosigkeit - Sozialisten wie Landauer, Mühsam und Jung standen dem Tolstojaner und Anwalt eines libertären Sozialismus Oskar Maria Graf zumindest zu Beginn und Ende seines Lebens näher als die bürokratischen Verwalter jener Ordnung, der kommunistischen (im wahren Sinne des Worts), zu der Graf sich, wie es 1930 in einem Schreiben an die Linkskurve heißt, mit Entschiedenheit bekannte, weil sie nicht auf den Tod hinarbeite, sondern auf das Leben.
    Ein intelligentes und ein ehrliches Buch (und eben darum, im Sinne der Vorbemerkung von 1926 »ein menschliches Dokument dieser Zeit«): nichts geschminkt oder ex post retuschiert. Und dabei, ungeachtet allen Freimuts, dezent und ohne eine Spur von peinlichem Exhibitionismus: eine Beichte, deren Sachlichkeit und vivisektorische Präzision ein Subjekt über ein Objekt gebeugt) den Autor, a la Theodor Fontane, davor bewahrt, »mit seinem Ich zu dauernd und zugleich zu weit und breit vor sein Publikum hinzutreten«.
    Ein Mann, der etwas zu sagen hat, weil er für viele steht, aber weit mehr ist als ein typischer Vertreter der Vielen, spricht Wahrheiten in Form von Erzählungen aus und gibt, was so und nicht anders war, als szenische Miniaturen wieder: verfremdet also und damit auf eine

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