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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Generalarzt kam und leuchtete mir mit einer elek­ trischen Taschenlaterne ins Gesicht. Ich sah groß in das stechende Flämmchen. Eine kalte Hand strich über meine Stirn.
    Die Kräfte kamen langsam, wieder. Ich konnte meine Umgebung feststellen. Einer lehnte dauernd am Fenster und zupfte an seinem Krankenkittel. Wieder etliche rannten sehr schnell im Kreise herum. Plötzlich fiel der eine davon lang hin und schlug krampfhaft um sich, schrie und brüllte. Aus einer Ecke heulte eine wimmernde Stimme ohne Unterlaß: »Ich bin verrückt! Ich bin verrückt!«
    Und fiel in ein schüttelndes Schluchzen: »Maria! Maria!«
    Mein Nebenschläfer zuckte von Zeit zu Zeit am ganzen Körper, warf sich hoch und knirschte, daß die Zähne krachten. Im mittleren Bett auf der anderen Seite lag ein junger Mensch sitzend aufgerichtet, zeigte in einem fort mit gespreiztem Finger in die Luft und schrie: »Neu-Ulm! Neu-Ulm! Neu-U-u-ulm! He! Neu-Ulm! Neu-Ulm!« Und endlich war einer, der von Zeit zu Zeit veitstanzartig von einem Bett zum anderen hüpfte, sich die Kleider vom Leibe riß, seinen Geschlechtsteil in die Hand nahm und ihn beglotzte.
    Dazwischen gingen zwei Wärter ruhig einher, und zu Mahlzeiten sah ich Schwestern Teller herumreichen. Oder zwei weißbekittelte Ärzte spazierten von Bett zu Bett, untersuchten und machten meinem Nebenschläfer eine Einspritzung.
    Neue Kranke kamen. Dauernd war furchtbarer Lärm. Teller flogen krachend an die Wände. Einer spuckte auf die Vorübergehenden. Dieser oder jener stürzte sich wütend auf ihn. Die Wärter griffen ein. Er wurde in die Zwangsjacke gebunden und in eine andere Station gebracht. Ich bekam zum ersten Male Fleischkost, schreckte auf und stemmte abwehrend meine Hände: »Das ist das Pferd! Das Pferd!« Die Schwester wollte mir das Essen aufnötigen. Ich schmiß den Teller samt Speise an die Wand. Die Wärter kamen und drohten. »Das ist das Pferd«, sagte ich beharrlich.
    »Bist wohl meschugge!« schrien sie. Aber ich nahm keine Fleischspeise zu mir. Man brachte mir Biskuit und Rotwein. Biskuit aß ich, den Rotwein weigerte ich mich anzunehmen.
    »Das ist Blut! Das Pferdeblut«, sagte ich abweisend. Die Schwester schüttelte den Kopf. Die Wärter lachten und tranken den Wein. Dann durfte ich aufstehen. Meine Knie zitterten noch immer, wenn ich etliche Schritte machte. Den ganzen Tag saß ich auf der Bettkante, sprach kein Wort und starrte durchs Fenster. Wenn ich hinausging, folgten links und rechts zwei Wärter und warteten am Aborteingang. Ich wurde zum Generalarzt geführt und von ihm vernommen. »Warum essen Sie kein Fleisch?« war dessen erste Frage.
    »Das ist das Pferd ... Das hat man nachgeschickt«, sagte ich. »Welches Pferd?« fragte der Arzt.
    Ich erzählte ihm von dem Pferd, das ich abziehen hätte sollen und dem die Därme heraushingen und sagte, seitdem hätte ich einen Ekel vor allem Fleisch. Ob der Major im Rechte war mit der Straf verhängung?
    Ganz bieder fing der Herr Generalarzt an. Direkt schmeichelhaft wie ein Kamerad in einer weichen Stimmung.
    »Vom Standpunkt des Soldaten hat der Major entschieden richtig gehandelt. Als Mensch ist das eine andere Sache, aber das gehört nicht hierher«, sagte ich gewandt.
    »Soso - naja, Sie werden wir wohl zu Muttern heimschicken«, meinte der Generalarzt, und die zwei Wärter führten mich wieder zurück in das Irrenzimmer. Ich ging wieder auf mein Bett zu und starrte hinaus ins Weiße des Hofes. Am Abend stand ein großes L auf meiner Fiebertafel. Das bedeutete Abtransport mit dem Lazarettzug.
    Aber der Lazarettunteroffizier konnte mich nicht leiden, weil ich nichts anrührte, wenn es was zu tun gab. Krankentransport auf Krankentransport wurde zusammengestellt und in die Heimat abgeschickt. Andere Kranke kamen. Ich blieb und blieb. So verliefen die Wochen. Ich war immer noch da.
    Um zwölf Uhr mittags schritt der Generalarzt sporenklirrend durch den langen Gang ins Sekretariat. Ich ging auf den Gang, als er vorbeikam.
    »Was? Sie sind noch immer da?« sagte seine Exzellenz, drehte sich um und ging zum Unteroffizier in die Schreibstube. Dort gab es Krach. Am selben Abend noch wurde ich mit einem Sanitätsauto zum Bahnhof gefahren und kam mit dem Lazarettzug in die Heimat. Die ganze Zeit mußte mich ein Krankenwärter bewachen. Drei Ärzte kamen und wollten mich ausfragen.
    »Weiß ich nicht«, antwortete ich auf jede Frage. Seelenvergnügt lag ich auf meiner schaukelnden Matratze und sah hinaus ins kreischende

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