Wir sind Gefangene
Körper heiß und kalt zugleich, ging ich hinauf und legte mich, ohne meinen Tornister abzuschnallen, aufs Stroh, rauchte eine Zigarette um die andere und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Es war Nacht draußen. Kein Mensch wagte, zu Bett zu gehen. Ich beruhigte mich und las gelangweilt den Hebbelkalender, den ich in einem Kownoer Haus gefunden hatte. Schritte von mehreren Leuten stampften die Stiege herauf. Durch die Ritze der Tür fiel Licht. Der Leutnant kam, leuchtete mich mit seiner Taschenlampe an und sagte: »So! Also hier liegen Sie!« Ich lugte nach ihm. Er begann in schnarrendem Ton und sehr eilig einen großen Verhaftungsbefehl vorzulesen, den ich völlig überhörte. Hinter ihm in der Düsternis standen ein preußischer Offizier in Helm und zwei Mann mit aufgepflanztem Seitengewehr. Irgend etwas von sofortiger Inhaftsetzung und vorläufiger Unterbringung im strengen Arrest wegen Befehlsverweigerung flog undeutlich an mir vorbei. Ich blieb ruhig liegen und hörte zu, ohne meine Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Das war nicht Kühnheit, eher schon Nervosität, ein Auslassen und Sichübergeben. Der Leutnant war ganz bleich und maß mich bohrend. Als er zu Ende gelesen hatte, fragte er: »Verstanden?« Ich nickte. »Wollen Sie den Befehl befolgen?« fragte er wieder rasch. »Ja«, sagte ich gleichgültig und nickte.
»So werfen Sie doch wenigstens Ihren Glimmstengel aus dem Maul!« schrie er.
»Den muß ich erst rauchen«, sagte ich ruhig. Der Leutnant zuckte zusammen und besann sich einen Moment. Deutlich hörte ich seine Zähne knirschen. Dann, ohne mich noch mal anzusehen, wandte er sich an die drei preußischen Soldaten und sagte befehlsmäßig: »Wenn er nicht gehorchen will und in fünf Minuten nicht folgt, melden Sie es unten!« Er schritt geräuschvoll durch die offene Türe und warf sie krachend zu. Hilflos sahen mich die Preußen an. Dumpf sagte der Unteroffizier nach einer kleinen Pause: »Kamerad, mach keine Dummheiten, komm mit!« Ich erhob mich langsam, suchte mir zwei Kommißbrote und nahm sie in meine Wolldecke. »Wollen Sie uns folgen?« fragte auf einmal der Unteroffizier wieder förmlich. »Das seh'n Sie doch«, sagte ich und nestelte an meinem Wolltuch. »Mensch, was haben Sie sich da eingebrockt!« sagte der Unteroffizier jetzt wieder menschlich. Die Soldaten, die bis jetzt säulenstarr dagestanden hatten, schüttelten die Köpfe. Sie ließen mich vorausgehen und führten mich wieder ins Gemeindehaus. Ich erinnere mich noch ganz deutlich an alles. Es lag tiefer Schnee, und wir wateten stumm dahin. Bitter kalt blies der Wind um die Hausecken. Stockdunkel war es. Nur die geschwertete Linie der Taschenlaterne des Unteroffiziers zeigte den Weg. Ich dachte immerzu an das Lied Es geht bei gedämpfter Trommel Klang , und sehr feierlich ward mir zumute. Komisch, ich dachte nie daran, daß man mich etwa an die Wand stellen oder auf Festung tun könnte, es kam mir bloß so von ungefähr in den Sinn, so müßten die russischen Leute auch nach Sibirien gebracht werden. Und dann - ja - dann, ich weiß nicht mehr genau warum, kam es mir auf einmal vor, als wäre Frühling, und ich ginge über windüberstrichene, aufkeimende Felder daheim. Wohlig und frei war's mir, und auf einmal fing ich zu singen an:
»Ein Vöglein sang im Lindenbaum
in lauer Sommernacht!«
Ich sang erst brummend, fand aber dann, scheint es, an meiner Stimme großen Gefallen und, obwohl ich mich jetzt wieder an den Unteroffizier und die zwei Mann hinter mir erinnerte, sang ich munter aus mir heraus. Die drei Mann verhielten sich taub und stumm und gingen bloß stapfend weiter. Sie ließen mich singen, ja so halbwegs schien mir, als gefiele ihnen diese fremde Lustigkeit. Ich kam von der Anstrengung des Watens ins Schwitzen und jappte nach Luft, ein Ton brach auseinander, und ich hörte auf einmal auf ... Es war elf Uhr nachts geworden, als wir im Arrest ankamen. »Schon wieder da, Graf?« sagte der Feldwebel und entließ die drei. »Es gefällt mir so bei euch«, sagte ich und lachte. Ich kam in meine alte Zelle, zündete mir eine Zigarette an, ging etwas nervös auf und ab und leuchtete die Wände ab. Da hatte einer unter meine Schreibereien geschrieben: »Sehr richtig.«
Ich legte mich zufrieden auf meine Pritsche und schlief erst nach langem Gedanken-Hin-und-Her ein.
XVIII
SIE WERDEN SICH WUNDERN
Am ersten Tage in der Frühe kam der Landsturmmann mit einem Feldgeschirr voll Tee und sagte: »Trink, Kamerad! Er
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