Wir sind Gefangene
wenn sie glaubten, daß ich sie nicht bemerke, stöhnten sie: »Ach Gott, der junge Mensch!«
Wenn der Arzt zur Visite kam, stellte ich mich breit hin und sagte leger: »Gut'n Morg'n, Herr Doktor! Ein Sauwetter hab'n wir heut'!« oder »Heut' nacht hab'n wir eine schöne Hetz' g'habt, fein war's, sag' ich Ihnen.«
Weil ich ständig guter Dinge war und jedem Anlaß zum Lachen gab, wurde ich auch demgemäß behandelt. Das gefiel mir ausgezeichnet. »Ein Vieh, dieser Graf«, sagten die Hessen, und die Preußen oder Brandenburger stießen sich verständnisvoll und lachten: »Junge, Junge, eine Nulpe!« So ging es Tage. Ich schrieb nun auch Briefe. Hauptsächlich an meine Freunde in Berlin. Und eines Tages kam Richard Oehring aus Berlin an. Sofort wurde er vom Arzt abgefangen und einem eingehenden Verhör unterzogen. Hernach, als ich mit ihm im Garten Spazierengehen durfte, erzählte er mir mit todernstem Gesicht die merkwürdigsten Dinge. »Du wirst hier als Minderwertiger behandelt. Aber jetzt ist es mit dir geschehen. Mach' dich jedenfalls gefaßt auf eine längere Internierung ... Ich wußte ja nicht, was du für eine Krankenrolle spieltest und habe dem Arzt frei weg alles erzählt, was ich von dir wußte«, sagte er zu mir und sah mich dabei unablässig an. Ziemlich deprimiert verließ er mich. Am Abend mußte ich zum Arzt.
»Also, Graf, Sie sind ja ein ganz intelligenter Mensch«, sagte der, als ich zur Tür hereinkam, »Sie sind ja ein Dichter und haben schon in Zeitschriften veröffentlicht, sagt Ihr Freund.«
»Stimmt nicht, Herr Doktor, der bin ich nicht«, sagte ich hölzern und machte ein eisiges Gesicht. Einige Sekunden vergingen.
Der Arzt wurde weich: »Setzen Sie sich mal ... wir wollen uns ein wenig unterhalten.« Er rückte ganz nahe an mich heran und sah mir väterlich in die Augen. Dann faßte er mich an der Schulter, als wollte er mich aus tiefem Traum aufrütteln: »Jetzt denken Sie sich einmal, ich wäre Ihr Freund, Graf ... Reden Sie einmal so, wie Sie mit Oehring reden würden.«
Ich saß steif, fast atemlos da und starrte ihn verblödet an.
»Sie sind doch ein Dichter«, wiederholte der Arzt immer eindringlicher, »Graf! ... Sie, Graf! ... Sie haben doch schon in
Zeitschriften veröffentlicht, Graf?«
Ich holte ein wenig Atem.
»Der bin ich nicht, Herr Doktor«, sagte ich dann abermals. »Sehen Sie mich doch an! ... Sehen Sie, ich bin ein Mensch wie Sie ... Meine Aufgabe ist, Sie baldmöglichst zu heilen, weiter nichs sagte der Doktor mild und fast bittend.
Plötzlich beugte ich mich ganz nahe an sein Gesicht, daß er ein wenig zuckte, und schrie laut und immer lauter:
»Sie sind größte Verbrecher! Sie heilen nur, damit man uns wieder als Kanonenfutter brauchen kann! Sie sind schlimmer als jeder General und Kaiser, denn Sie benützen Ihre Wissehaft nur, damit es wieder Leute zum Umbringen gibt! ... Die Generale, der Kaiser, die ganzen Kriegsherrn handeln, wie sie es gelernt haben, aber Sie - Sie , Sie haben etwas anderes gelernt und lassen sich zur größten Schandtat benützen. Sie machen zu Tode Geschundene wieder lebendig, damit man sie wieder morden, wieder zerfen kann! ... Ein Zuhälter sind Sie, eine Hure sind Sie!«
Der Arzt war bestürzt aufgesprungen und faßte mich zitternd an: »Beruhigen Sie sich, Graf! Sie sind schwer krank!« Er war selber ratlos und stotterte. Aber ich schwieg nimmer. Auch ich war aufgestanden und brüllte auf ihn ein. Eine maßlose Wut hatte mich erfaßt. Die Türe ging auf.
»Sie sind vollkommen zerrüttet, Graf!« sagte der Arzt und führte mich zur Türe. Zwei Wärter standen bereits mit meinen Sachen da. Die Schwestern sahen beängstigt herein, gedrängte Gesichter von Kranken sah ich undeutlich dahinter. Ich war still und schlotterte, der weiße Schaum stand mir auf den Lippen.
»Sie kommen in eine Heilanstalt«, sagte der Arzt tonlos und die Wärter nahmen mich in ihre Mitte. Ich hatte mich etwas beruhigt. Peinlich nahmen alle Abschied. Viele schauten mich an, als sei ich ein Geist oder Teufel. Wir verließen das Lazarett und gingen durch den Park. Auf einmal wölbte sich ein Torbogen. Darüber stand in großen Lettern: »Kgl. preußische Landesirrenanstalt Görden.« Wir schritten an roten Häusern vorbei, davor waren Zäune aus Drahtgeflecht. Merkwürdig verkommene Leute schritten drinnen herum.
Endlich standen wir vor einem ebensolchen Haus. Station 4 stand auf einer weißen Emailletafel. Der eine Wärter sperrte auf. Wir folgten. Hinter
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