Wir sind Gefangene
ist heut' sogar gezuckert ... Das tut gut, am Morgen so was Warmes ...« Er stellte den Napf hin, ging durch die geöffnete Tür und sperrte wieder ab. Ich nahm ein paar Schlucke und ließ den Rest stehen. Das Mittagessen kam. Ich berührte es nicht. Am Abend gab es zwei Rädchen Wurst. Ich legte sie hin und aß nichts. Das gleiche am anderen Tag. Ich nahm nichts zu mir. »Schmeckt es nicht?« fragte der Landsturmmann.
»Ich hab' gar keinen Appetit«, sagte ich und ließ alles stehen. Der dritte Tag kam. Er war quälend lange und peinigend. Ich aß nichts. Krepieren mußt du, dachte ich und machte mir selber eine Wut, um nicht in Versuchung zu kommen.
»Iß doch, Kamerad«, sagte der Landsturmmann sorgenvoll und fast flehend: »Du gehst uns ja zugrunde.« Und der Feldwebel kam und fragte: »Können Sie denn nichts essen?« Ich sagte: »Ich habe absolut keinen Appetit.«
»Sind Sie denn krank?« erkundigte sich der Feldwebel. Ich schüttelte gutmütig lächelnd den Kopf.
»Nein, ich kann nur nichts essen, sonst geht es mir gut ... Wird schon wieder kommen, Herr Feldwebel«, sagte ich harmlos. Der Magen knurrte. Aushalten, befahl ich mir bissig und schluckte das Magenknurren hinunter. Polackenknaben kamen und verkauften mir heimlich durch die Fensterluke Zigaretten. War Gefahr im Verzug, schlichen sie lautlos davon und kamen immer wieder. Ich stand den ganzen Tag am Fenster und blies den Rauch durch das Gitter der Luke, damit man nichts rieche. Die Kontrolle war sehr milde. Nie sah jemand nach.
Am Morgen des vierten Tages hörte ich fremde Stimmen an meiner Tür. Der Leutnant von der Etappenkomman-dantur kam mit dem Feldwebel in meine Zelle. Ich sollte stramm stehen und Meldung machen, blieb aber auf der Pritsche liegen. Der Offizier machte dem guten Feldwebel Vorwürfe und mir einen Krach.
»Warum essen Sie denn nichts? Sind Sie krank?« fragte er mich scharf musternd.
»Nein, aber ich habe keinen Appetit, Herr Leutnant«, sagte ich monoton.
»So! ... Wissen Sie auch, daß man Sie zum Essen zwingen kann?« drohte der Leutnant.
»Jawohl, Herr Leutnant, aber nicht zum Appetit«, gab ich zur Antwort. Da stieg dem Mann der Groll auf.
»Sie scheinen mir ja der richtige Drückeberger zu sein«, polterte er und fuhr höhnisch fort: »Na, man ist schon mit anderen fertig geworden. Sie essen schon!« Den ganzen Gang vor räsonierte er noch von Gewaltanwenden. Ich dachte unwillkürlich an die fünfhundert Russen, die an der Front zu Arbeit und Essen mit Prügeln gezwungen worden waren.
Aber ich aß nicht. Der schlimmste Tag, der dritte, war vorüber. Der Magen hatte sich an das Hungern gewöhnt. Ich rauchte in einem fort und lag auf der Pritsche. Bald werde ich zusammenbrechen, dachte ich. Der vierte und der fünfte Tag gingen so vorüber. Unseren Leutnant hörte ich vorne: »Hat er sich schon entschlossen zu essen?« »Nein, Herr Leutnant«, gab ihm der Feldwebel zurück.
»Na, soll er hungern, wenn es ihm Spaß macht«, sagte der und entfernte sich. Der Feldwebel kam bedrückt zu mir.
»Kamerad, iß doch«, flehte er fast wie ein Vater, »du kommst zu Muttern heim.«
Aber ich blieb unerbittlich. Frei werden oder krepieren, dachte ich und hungerte, rauchte oder lag auf der Pritsche und döste.
In die Nebenzelle wurde ein ostpreußischer Trainsoldat eingeliefert. Er sang den ganzen Tag, klopfte dann wieder und unterhielt sich mit mir nachmittags im Hof beim Holzkleinmachen.
In der frischen Luft fühlte ich eine leise Schwäche. Endlich, dachte ich.
Immerzu rauchte ich. Der sechste Tag verging, der siebente und der achte, ohne daß ich etwas von Zusammenbruch spürte. Nur meine Schwächezustände nahmen zu. Die Landstürmler und der Feldwebel waren verzweifelt.
»Kamerad, was fehlt dir denn? Sag's doch! Willst du dich krank melden:« fragten sie mich trübselig.
»Mir geht's ganz gut«, erwiderte ich freundlich und lächelte zufrieden.
»Hm-hm-hm, schrecklich«, murmelte der Feldwebel, und alle drei gingen kopfschüttelnd aus der Zelle. Wenn ich auf der Pritsche döste, fingen Wände und Gegenstände langsam an zu verschwimmen. Alles schwebte. Aber ich war ganz bei Sinnen und hörte noch immer den Ostpreußen drüben deutlich singen:
»Wir sitzen wohl zwischen vier Mauern
und klagen einander die Not!
Hier ist es ja zu bedauern, bedauern,
bei Wasser und trockenem Brot!«
Eintönig klang die Melodie durch die Wände und wurde da und dort erwidert. Sie summte sich ins Ohr, und zuletzt war es, als brumme
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