Wir sind Gefangene
uns wurde zugeriegelt. Ein paar Treppen. Wieder eine Tür, auf- und wieder zugeriegelt. Ein ungeheurer Lärm und Qualm empfing uns. Auf dem Tisch stand ein alter Mann mit einer Skala von achtzehn Tabakpfeifen und hantierte damit wie ein Jongleur. Leute rannten herum, lachten, pfiffen, rauchten oder sangen. »Das ist Österreich! - Hoch Wilhelm! - Hier ist Ungarn! - Haut sie tot! - Das ist Thüringen - Petrus gießt Kotze auf die Welt - Alleluja, dominus!« schrie der pfeifenfeixende Alte und schlug einen Heidenlärm auf dem Tische. Etliche standen da und spuckten auf ihn, zupften an seinem Rock und beschimpften ihn. Er schimpfte auch und wiederholte sein wirres Geplärr.
Ich lehnte mich glatt an die Wand und begann schallend zu lachen. Jetzt erst sah man mich.
»Komm, Sepp!« sagte ein großer Mann und nahm mich unter den Arm. Alles lachte wiehernd auf. Wir gingen im Kreise. Der Lärm schwoll wieder. Der Alte warf die Pfeifen in der Luft herum und fing sie wieder auf, sprang auf einmal auf den Boden und begann laut zu weinen. Einer fiel hin und bekam Krämpfe, zerfetzte sich die Kleider und verbiß sich. Die Wärter packten ihn und brachten ihn weg. Ein junger Mann rannte weinend von einem Eck ins andere und schrie: »Nicht schießen! Nicht schießen! Ni-i-icht ...!« Er warf seine Arme und verbarg seinen Kopf damit.
Einer begann laut zu predigen. Alle lachten, weinten, schrien oder saßen dösig in einer Ecke und glotzten leblos. Ich mußte in den Schlafsaal und mich zu Bett legen, bis der Arzt kam. In einem fort lachte ich grell auf. Der Doktor erlaubte mir das Aufstehen. Ich konnte wieder in den Tagessaal gehen und bekam Essen.
Wir saßen an langen Tischen. Alles war hier angenietet und fest. Das Geschirr war aus Blech. Gabel und Messer gab es nicht.
Manche schütteten ganze Löffel Salz ins Kompott, einige spuckten erst hinein und verschlangen den zurechtgemachten Fraß. Einer schlug immerzu seinen Teller an die Tischkante und übergoß die anderen. Man mußte aufpassen da. Sah man weg, hatte man keine Speise mehr. Ich sah verwirrt in dieses Durcheinander und lachte immer dröhnend auf. Es klang fast krachend. Das steckte die anderen an. Oft war der ganze Saal ein einziges Gelächter.
Mittelpunkt war immer der Alte mit den Pfeifen. Er beschimpfte bei jeder Visite den Arzt auf das schmählichste und schmiß ihm die Pfeifen nach oder spuckte nach ihm. Dann kam er ins Dauerbad. Er wehrte sich hysterisch, er schrie, weinte, bat, kratzte und heulte wie ein angeschossener Vogel.
Nach etlichen Wochen kam ich in den ersten Stock. Das war eine sogenannte leichte Station. Die Schlafsäle waren hier kleiner. Ruhiger war's. Wir bekamen Papier und konnten Karten spielen. Mittags um zwei Uhr durfte das ganze Haus im gitterumzäunten Garten Spazierengehen.
XX
DIE FORTSETZUNG
In unserer Stube waren wir fünf. Leow, ein Berliner Schlosser, lag neben mir. Ein großer Jude namens Mayer war da, ein Kölner Uhrmacher, der an hysterischen Anfällen litt, und endlich ein Student aus Berlin, der fast nie ein Wort mit den anderen Kranken sprach. Leow half in der Küche mit. Das Essen war sehr knapp. Leow stahl Brot und Wurst und teilte aus. So schloß sich der Freundschaftsring. Nur der Student machte nicht mit. Er hielt sich immer abseits und eines Tages kam Leow aufgeregt ine Zimmer und erzählte, daß man uns verraten hätte. Der Student stand dauernd bei den Wärtern. Wir schöpften Verdacht. Auch die Leute in den anderen Stuben wurden über diesen Herrn unterrichtet. Jeder mied ihn.
»Der muß weg«, sagte Leow, der nicht mehr in der Küche mithelfen durfte. »Um Gottes willen, macht keinen Skandal«, flehte der abgemagerte Uhrmacher und zitterte wie Espenlaub. »Der Schuft!« sagte ich.
Mayer stand Posten, wenn wir allein beisammen waren. Einer von der Nebenstube wurde als Spion engagiert. Er hatte die Gespräche des Studenten mit den Wärtern zu überwachen. Und richtig: Hanisch - so hieß der Student - hatte uns verklagt.
Leow ballte die Faust und raunte mir ins Ohr: »Heute fassen wir ihn.« Ich nickte.
Wir gingen in den Tagessaal. Auf einmal hatte mich eine unbeschreibliche Wut erfaßt. Alle Kameraden waren bereit zum Ausbruch. Ich rannte immer, immer schneller um die Tische. Die Wärter faßten mich bereits ins Auge, stellten sich schon in die Ecken. Da kam Hanisch aus dem Abort. Mit einem Satz war ich ihm im Gesicht, krallte mich in seine Wange und riß ihn nieder. Ein furchtbarer Lärm erhob sich. Die Wärter
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