Wir sind nicht schwul (German Edition)
Oberteil. Sein einst so blank rasierter, trainierter und gesunder Oberkörper ist von tiefen Schnitten übersäht, aus denen immer noch Blut hervorquillt. Die Klinge, mit der er sich die Schnitte zugefügt haben dürfte, liegt immer noch auf seinem Schoß.
Ist das ein Skalpell? Und das daneben sieht aus wie eine Whiskyflasche. Außerdem liegen auf seinen Oberschenkeln zwei kleine Päckchen, aus denen etwas Silbernes heraus ragt.
Er trägt eine schwarze, mit Nieten und Gürteln verzierte Hose, mit der ich ihn draußen schon öfter gesehen habe (vielleicht seine Lieblingshose?), aber keine Socken und natürlich keine Schuhe. – Die stehen vor der Badezimmertür.
Dort werden sie wohl auf alle Ewigkeit auf ihren Besitzer warten, ohne dass er sie jemals wieder abholen kommen wird.
Rechts von seinem linken Oberschenkel steht eine Schüssel, voll von rotem Blut und Wasser, dass sich bereits so dicht angesammelt hat, dass es keine Fäden ziehen und keine Muster mehr bilden kann. Seine Hand hängt in dieser hölzernen Waschschüssel.
Die andere Hand hängt an ihm herab, in der großen Wasserlake, die den gesamten Raum bedeckt und nur langsam aus dem Zimmer fließt.
Sein Unterarm ist säuberlich ein paar Mal der Länge nach aufgeschlitzt worden. Aus den klaffenden Wunden dringt immer noch Blut hervor.
Blut.
Überall.
Das dürfte ebenfalls zu diesem eigenartigen Geruch beitragen, der seinen einst so unwiderstehlichen Duft beinahe vollkommen überdeckt, sowie die Waschutensilien, die überall verteilt liegen.
Und dann macht es endlich „Klick“ in meinem Kopf.
Mit einem einzigen großen Schritt fliege ich förmlich durch den Raum, durch das Wasser, an seine Seite und bekomme seinen Kopf mit meinen Händen zu fassen.
Er fühlt sich noch so schön warm an, was aber auch an der tropischen Hitze im Raum liegen könnte, verursacht durch aufwirbelndes, heißes Wasser.
„Mikage … Mikage! Verdammt! WACH AUF! MIKAGE !“ Kreischend schüttle ich ihn immer wieder kräftig, wobei die Flasche von seinem Schoß ins Wasser rollt und scheppernd am Boden aufkommt.
Gehetzt lasse ich seinen Kopf los und fummle wie besessen am Seil, in der Hoffnung, es würde sich lösen. Er ist nass und starr und nachdem das Seil sehr faserig ist, wehrt es sich so vehement gegen meine eifrigen Finger, als würde er hier schon seit Jahren hängen, bei Sturm und Wetter!
Ich habe überhaupt keine Chance.
Nicht wissend, was ich als Nächstes versuchen könnte, kralle ich mir das Handtuch vom Handtuchtrockner und umwickle damit zumindest seine Wunde am Arm. Vergebens, denn es hält nicht von selbst, sodass ich mich nicht um seinen anderen Arm kümmern kann. Durch das Reiben mit dem Handtuch an der Wunde, fängt es gleich noch stärker an zu bluten.
Ich habe meine Zähne so fest zusammengebissen, um nicht jeden Moment zum Heulen anzufangen, dass mir der Schädel brummt und das Kiefer schmerzt. Es reicht schon, dass ich unkontrolliert zittere. Noch mehr Behinderungen kann ich nicht gebrauchen.
Weil das Abdecken der Wunde nicht klappt, ziehe ich zumindest seine andere Hand aus der Waschschüssel. Ich traue mich nicht einmal so richtig, ihn anzufassen, aus Angst, dass ich ihm noch mehr Schmerzen zufügen könnte, denn auch auf dem zweiten Arm ist die Pulsader aufgeschlitzt. Wie tief genau, will ich erst gar nicht herausfinden.
Und was nun?
WAS NUN?!
Verdammte Scheiße noch mal! Ich weiß nicht, was ich noch tun soll … ob ich überhaupt noch etwas tun kann !
Schwer atmend schüttle ich ihn immer und immer wieder, während ich zwischendurch ständig versuche, die Schlinge um seinen Hals zu lösen.
„Sprich mit mir. Mikage … bitte, bitte sprich mit mir!“, winsle ich durchgehend, doch er reagiert nicht.
Das letzte bisschen, das von meinem Verstand noch übrig geblieben ist, sagt mir, dass es eigenartig wäre, wenn er noch zum sprechen fähig gewesen wäre, hätte er auch nur irgendwie auf mein Geschüttel oder meine Worte reagiert.
Erst jetzt komme ich auf die Idee, seinen Puls zu fühlen. Aus Angst, ihm weh zu tun, wenn ich auf die Wunden an seinen Armen greife, versuche ich etwas an seinem Hals zu erkennen. Hilflos taste ich seinen Hals ab, aber das einzige, was ich fühlen kann, ist mein eigenes, rasendes Herz, mein eigener Puls und das Rauschen in meinen Ohren.
Spätestens jetzt ist der Moment gekommen, in dem ich aufgebe, in dem mich mein Körper und meine Kreativität im Stich lassen und in dem ich mich absolut nicht mehr
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