Wir sind nur Menschen
ein Ei.
Dann eilte er schon wieder zu den Stationen und saß an den Betten der Kranken, beobachtete ihre Herztätigkeit oder impfte im Keller die Kaninchen und die Meerschweinchen mit neuen Präparaten.
Mit Präparaten, die wieder versagten …
Der Gedanke, laufend zu versagen, machte ihn hart gegen sich. Er hatte es erlebt, daß ein infizierter Affe nach drei Injektionen mit dem unbekannten Serum genas … diese drei Injektionen aber waren von dem letzten Impfstoff gemacht worden, den er besaß … und er stand vor dem Wunder, daß ein todkranker Körper sich erholte …
Er hatte es doch selbst gesehen, daß es einen Weg gab, daß das Dunkel nicht undurchdringlich war!
Dann war es wieder einmal, als habe er Erfolg. Er hatte eine Ratte mit dem Messer in den Rücken geritzt – und die Messerspitze war mit dem Gift der ›Schwarzen Witwe‹, das er aus Hamburg bekommen hatte, getränkt.
Nach zehn Minuten zeigten sich Krämpfe, die Ratte legte sich auf den Rücken, die Beine erlahmten, der Atem war pfeifend. In diesem Stadium, kurz vor der Atemlähmung, injizierte Dr. Perthes sein Serum 365, das Ergebnis des 365. Versuchs in der Retorte. Die Ratte erholte sich, sie stellte sich auf die Beine. Starr saß der Forscher vor dem kleinen Käfig und betrachtete diese Wandlung. Er dachte daran, daß sein letzter Versuch kurz vor dem Gelingen deshalb versagte, weil die Körperwärme das Gift über das Antitoxin brachte.
So nahm er jetzt die Ratte aus dem Käfig, setzte sie in einen Eisbehälter und packte das Tier in Eisstückchen, bis nur noch die spitze Schnauze mit den langen Barthaaren heraussahen.
Dort blieb die Ratte, bis sie fast steif gefroren war, und in diesen vereisten Körper injizierte er noch einmal das Serum. Er dachte an die neuen Kälteschlaf-Operationen, die von sich reden machten, an die neuen Methoden, das Herz und den Blutkreislauf durch Kälte so einzudämmen, daß man das Herz in aller Ruhe mit dem Skalpell angehen konnte … und die Ratte lebte weiter, bis man sie aus dem Eis befreite.
Dann ging sie ein.
Das Gift war stärker! Es hatte auch die Eiseskälte überstanden. Versuch 365 war mißlungen – kurz vor dem Triumph!
An diesem Abend blieb Dr. Perthes auf seinem Zimmer. Er ging nicht zum Essen, er nahm den Hörer nicht ab, als man anrief. Er verkroch sich und starrte vor sich hin …
Er brauchte in diesem Zustand keinen Trost … er konnte ihn nicht ertragen. Schmerzhafter als je zuvor hatte er heute eingesehen, daß er nur ein Mensch war, ein kleiner, armseliger, nichtswissender Mensch, den die Natur nach jedem neuen Versuch ins Gesicht schlug …
Aber er blieb in München, und er gab noch nicht auf.
Mit Herrn von Barthey hatte er sich geeinigt. Seine Forschungen an der Münchner Universität stellte er der langsam anlaufenden pharmazeutischen Fabrik in Köln zur Verfügung, nachdem er es fertiggebracht hatte, zwischen dem Bankhaus von Barthey und dem bayerischen Staat als Vertreter der Universität einen Vertrag zu lancieren, der dem Kölner Bankier die Auswertung aller Forschungen des Dr. Perthes in München übertrug – bei einer Beteiligung des Staates.
Mit Professor Window und Dr. Paul Sacher stand er in regem Briefwechsel. Einmal sogar besuchte Paul Sacher den Freund. Er freute sich über dessen Gesundheit, und wenn auch die Gehkraft der Beine nicht vollständig wiedergekommen war, so konnte Peter Perthes doch, auf einen Stock gestützt, rüstig gehen. Von einer Behinderung jedenfalls war nicht zu sprechen.
Aber der Inhalt der zehn Ampullen, jenes wunderbare Serum, das ihn anonym erreicht hatte, ließ ihm keine Ruhe. Wer war der Unbekannte, der sich nicht in die Karten schauen ließ und dem er, Dr. Perthes, nicht das Wasser reichen konnte, weil ihm, wie er jetzt fest glaubte, einfach der geniale Blick ins Geheimnisvolle versagt war …?
Angela Bender lebte in Gauting still und zufrieden. Der kleine Peter gedieh prächtig. Er war ein kräftiger, blonder Junge, der mit seinen dicken Beinen durch den Garten stolperte und mit seinem lauten Krähen das ganze Haus erfüllte.
Wenn Angela jetzt abends ihre Praxis zuschloß und sich ganz dem Kind widmen konnte, so wünschte sie sich nichts weiter vom Leben als das lange dauernde Glück, diese Tage mit ihrem Kind recht intensiv erleben zu dürfen.
In zwei oder drei Jahren, wenn alles gut weiterging, wollte sie sich in Gauting ein Häuschen bauen, mit einem weiten Garten, mit Liegewiese und Obstbäumen, und Peter sollte eine
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