Wir sind verbannt (German Edition)
Anschließend schlich ich ewig um meinen Computer herum und brannte schließlich eine DVD mit fast allem, was sich auf der Festplatte befand.
Da hast du’s. Das ist nun von meinem Leben noch übrig: ein paar Klamotten, ein paar Bücher und eine DVD.
»Okay«, sagte ich, als ich wieder zum Auto kam. »Lass uns hier verschwinden.«
Wir hatten gerade die halbe Strecke bis zu Tessa zurückgelegt, als eine Frau vor uns auf die Straße lief.
Tessa bremste so abrupt, dass ich in meinen Sicherheitsgurt geschleudert wurde. Das Auto kam nur wenige Zentimeter vor der Frau knapp zum Stehen, die schien das jedoch überhaupt nicht zu registrieren.
»Ist das schön, endlich jemanden zu treffen!«, rief sie. »Wohin fahrt ihr denn? Kann ich mitkommen? Ich halte es keine Sekunde länger alleine aus!«
Sie hatte ein ganz rotes Gesicht und nieste, während sie auf eine Antwort von uns wartete und sich dabei keinen Zentimeter von der Stelle bewegte. Tessa fuhr ein Stückchen rückwärts, und die Frau kam hinterher.
»Nein, nein!«, rief sie. »Nicht wegfahren! Ich will doch nur mit jemandem reden.« Und dann fing sie an zu weinen, schluchzte und hustete gleichzeitig.
In dem Moment fiel mir ein, dass ich ja etwas tun konnte. Ich konnte aussteigen und mit ihr sprechen, und ich wäre dabei fast genauso sicher, wie wenn sie gesund wäre.
»Ich sollte sie ins Krankenhaus bringen«, sagte ich. »Ich kriege sie bestimmt dazu, dahin zu laufen. Wir treffen uns dann bei dir.«
Tessa schüttelte den Kopf. Zuerst dachte ich, sie wollte mir sagen, ich solle mich nicht darum kümmern, doch dann sagte sie: »Wir können sie fahren. Wir haben beide Schutzmasken – das müsste doch reichen, oder?«
Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht wirklich Lust, dieser Frau ewig gut zuzureden, damit sie den weiten Weg zum Krankenhaus mit mir lief. Also beschloss ich, sie hinten in den Wagen zu setzen und bei ihr zu bleiben. Ich zog die Maske fest übers Gesicht, um das Virus möglichst fernzuhalten.
Als ich ausstieg, hörte ich irgendwo hinter uns ein anderes Auto und nahm an, es wäre jemand aus Gavs Truppe, der dabei war, Essen auszufahren. Die Frau wandte sich mir zu und kratzte sich über dem Ohr am Kopf. Dabei fielen ein paar Strähnen ihrer Haare zu Boden.
»Wie heißt du?«, fragte sie und strahlte mich an. »Ich bin …«
Da zerriss ein ohrenbetäubender Knall die Luft. Ich zuckte zusammen und zog den Kopf ein. Als ich wieder aufblickte, stürzte die Frau zu Boden. Sie krümmte sich auf dem Asphalt. Blut floss aus einer großflächigen Wunde auf ihrer Stirn.
Ihr Körper zuckte noch ein letztes Mal, dann bewegte sie sich nicht mehr.
Irgendwo schlug eine Tür zu. Ich wirbelte herum und erblickte einen Kerl, vielleicht ein paar Jahre älter als Drew, der von einem Pritschenwagen aus auf uns zuschlenderte und in dessen rechter Hand eine Schrotflinte baumelte. Er trug eine Maske, auf die mit blauem Stift die Worte »Survival« und »Power« gekritzelt waren, aber ich erkannte ihn an seinem weißblonden Haar. Er half früher immer in MacCauleys Obstplantage aus, wo wir jeden Herbst eine Kiste voll Äpfel kauften.
In dem Moment rief Tessa meinen Namen, und mir wurde klar, dass es besser war, wieder zurück zum Auto zu gehen.
»Was zum Teufel macht ihr da?«, fragte der Typ, blieb in ungefähr drei Meter Entfernung stehen und neigte den Kopf, als wolle er sich überzeugen, dass die Frau auch wirklich tot war. »Habt ihr nicht mitgekriegt, was hier los ist? Wollt ihr etwa krank werden?«
»Und was machst du da?!«, brüllte ich zurück. »Du hast gerade jemanden erschossen!«
»Sie hatte es schon«, erwiderte er. »Sie war doch sowieso schon so gut wie tot. Ich habe bloß dafür gesorgt, dass sie vorher niemanden mehr ansteckt.«
»Sie hat noch gelebt!«, rief ich. »Sie hätte vielleicht gesund werden können! So wie ich.«
Schon in dem Moment, als die Worte aus meinem Mund kamen, wusste ich, dass es ein Fehler war. Er kniff die Augen zusammen und hob sein Gewehr in die Höhe. »Du hattest es?«, fragte er. »Dann ist es bestimmt noch in dir drin.«
Ich stürzte auf das Auto zu, aber wäre Tessa nicht in diesem Augenblick ausgestiegen und zwischen uns getreten, hätte er mich ganz sicher erschossen, bevor ich es hineingeschafft hätte.
Er zögerte, und sie begann ihn anzuschreien.
»Hast du etwa so viele Patronen, dass du es dir leisten kannst, welche davon zu verschwenden?«, rief sie, die Hände auf die Hüften gestützt. »Haben deine
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