Wir sind verbannt (German Edition)
beendet, und streckte schon die Hand aus, um die Tür zu öffnen, als er plötzlich »Kaelyn« sagte. Ich drehte mich wieder zu ihm um, und irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck ließ mein Herz schneller schlagen.
Er sah mich an, aber das hatte er auch davor schon getan. Jetzt war es nur irgendwie, als hätte er das Bild scharf gestellt, als hätte seine Aufmerksamkeit vorher zumindest ein bisschen auch auf anderen Dingen gelegen, und nun konzentrierte sich jeder einzelne seiner Gedanken auf mich. Er war ein wenig nach vorne gerutscht, und seine Hand ruhte auf dem oberen Rand des Beifahrersitzes, nur wenige Zentimeter von meiner Schulter entfernt. Er hatte die Lippen geöffnet, so als wollte er etwas sagen, sobald er nur die richtigen Worte fand.
Keine Ahnung, was ich dachte, was er als Nächstes tun würde.
Nein, das stimmt nicht. Ich dachte, er würde gleich versuchen, mich zu küssen. Ich weiß nicht, ob ich das in diesem Augenblick richtig realisierte, und auch nicht, ob ich es wollte, aber ich bereitete mich innerlich darauf vor, und mein Herz schlug weiter wie wild.
Doch dann spielte es auf einmal keine Rolle mehr, denn er tat es nicht. Er ließ die Hand wieder sinken und sah aus dem Fenster. Und als er sich mir wieder zuwandte, war sein Blick nicht einmal mehr halb so gefühlvoll wie vorher.
»Danke«, sagte er.
Ich brauchte einen Augenblick, um mich wieder daran zu erinnern, wofür er mir dankte, dann zuckte ich mit den Schultern und lächelte, als hätte es diesen potentiell peinlichen Moment gar nicht gegeben. »Aber gerne doch!«, antwortete ich deutlich zu strahlend. Dann streckte ich die Hand wieder Richtung Tür aus, und diesmal hielt er mich nicht zurück.
Einer von uns sagte so was wie: »Man sieht sich«, der andere stimmte zu, und dann stand ich auch schon vor Tessas Tür und hörte den Motor des Ford brummen, als Gav davonfuhr.
Tessa ist vermutlich der einzige Mensch, der völlig gefasst erscheint, während um ihn herum die Welt zusammenstürzt. Als sie die Tür öffnete, hatte sie die Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zurückgebunden, und bis auf ein paar kleine Flecken auf ihrer Jeans waren ihre Klamotten absolut sauber und faltenlos.
»Dein Dad hat angerufen, um mir zu sagen, dass du unterwegs bist«, begrüßte sie mich. »Wir machen gerade Mittagessen. Hast du Hunger?« Die Ruhe in Person, als wäre ich nicht fast gestorben, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Es war irgendwie schön, nicht wie ein wandelndes Wunder behandelt zu werden.
Wir hatten ungefähr fünf Sekunden, dann kamen Schritte den Flur entlanggestürmt, und Meredith warf sich in meine Arme.
»Du bist wirklich gesund!«, rief sie. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht, Kaelyn. Bleibst du jetzt hier bei uns? Tessa sagt, du darfst. Ich wollte deine ganzen Sachen holen, um alles für dich vorzubereiten, aber Onkel Gordon wollte mich nicht in dein Zimmer lassen. Tut mir leid.«
So viel am Stück hatte ich sie nicht reden hören, seit Tante Lillian weggegangen war. Ich hatte einen Kloß im Hals und brachte einen Augenblick lang kein Wort heraus. Deshalb umarmte ich sie einfach nur und küsste sie auf die Stirn.
»Ich bin froh, dass du gesund bist«, sagte ich nach einer Weile. »Dad hatte recht – du musst wirklich vorsichtig sein. Du musst gesund bleiben – für mich!«
Sie schnappte sich meine Hand und zog mich zum Gästeschlafzimmer, das mit ihren Koffern, ihren Spielsachen und den Frettchenkäfigen vollgestopft war. Mowat und Fossey kletterten an den Gitterstäben hoch und schnüffelten zur Begrüßung an meinen Fingern. Sie sahen nicht schlechter aus als vor meiner Abwesenheit. Ich machte die Käfigtür auf und ließ sie ein bisschen auf mir herumturnen.
»Tessa mag sie nicht so besonders«, flüsterte Meredith mir zu. Nachdem sich ihre Aufregung etwas gelegt hatte, war sie wieder ziemlich still.
»Warum denn nicht?«, fragte ich.
Sie blickte auf ihre Füße. »Ich dachte, es wäre lustig, sie mit ins Gewächshaus zu nehmen«, erklärte sie. »Aber Fossey hat versucht, sich unter eine der Stauden zu buddeln und Mowat hat einen Blumentopf umgeworfen.«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ich sie. »Ich bin mir ganz sicher, dass Tessa nicht böse auf dich ist.«
Tessa rief uns zum Mittagessen, das aus Dosenravioli bestand. Meredith sagte fast kein Wort, während Tessa peinlich darauf achtete, höflich zu sein. Sie sprach genauso mit Meredith, wie ich es mit irgendeinem Bekannten meiner Eltern
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