Wir sind verbannt (German Edition)
mit?«
Und das tat ich.
Sie haben Warren in einem der kleineren Zimmer untergebracht, das früher, als das Krankenhaus noch normal arbeitete, als Untersuchungsraum diente. Als wir reinkamen, lag eine ältere Frau, die gerade einen Niesanfall hatte, auf dem Untersuchungstisch, und an der Wand saß ein vielleicht zehnjähriger Junge, der immer wieder das Videospiel auf seinem DS unterbrechen musste, um sich am rechten Fußrücken zu kratzen. Warren lag auf einer zusammengefalteten Decke auf dem Fußboden, hatte den Rücken gegen ein Kissen gestützt und ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien.
»Kaelyn!«, rief er, als er mich sah, und blickte Gav mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Hast wohl keine Lust mehr, dauernd alleine herzukommen, was?«
Selbst mit der Schutzmaske vor dem Gesicht konnte ich noch erkennen, dass Gav eine Grimasse zog.
»Ich sage ihm ständig, er soll zu Hause bleiben«, sagte Warren wieder an mich gerichtet. »Wenn man sich dieses Ding irgendwo einfängt, dann hier. Aber er ignoriert meine Worte, wie immer.«
»Ich höre dir immer zu, wenn du was Lohnenswertes von dir gibst«, konterte Gav, und Warren grinste ihn einen Augenblick an, bevor er anfangen musste zu husten. Er nahm sich den Becher, der neben ihm stand, und trank kleine Schlucke Tee, bis der Hustenreiz nachließ.
Ich suchte nach irgendetwas, das ich sagen konnte und das nichts mit dem Virus zu tun hatte oder mit dem Krankenhaus oder mit etwas anderem, das einen nur runterzog. Schließlich entschied ich mich für: »Was liest du denn da?«
»So einen Politthriller, den irgendwer liegengelassen hat. Nicht gerade mein Genre, aber man hat hier keine großen Alternativen.«
»Die Bibliothek ist im ersten Stock«, antwortete ich. »Sie ist ziemlich klein – eigentlich nur ein Schrank –, aber sie geben sich Mühe, von allem ein bisschen was dazuhaben. Was hättest du denn gerne?«
Sein Augen begannen zu leuchten. »Wo soll ich da anfangen?«, fragte er und ratterte in munterem Tonfall Autoren und Themen herunter: »Politik ist okay, solange es kein Roman ist – aber keine Autobiographien, die sind noch schlimmer als Romane.« So in der Art. Als wäre es keine große Sache, dass er im Krankenhaus war, als hätte er sich bloß irgendein Fieber eingefangen, das bei ausreichend Ruhe schon wieder weggehen würde. Aber in Wahrheit ist er bereits fast fünf ganze Tage krank, und das heißt, dass er wahrscheinlich schon morgen nicht mehr klar bei Verstand sein wird. Und ich habe gemerkt, dass er das genauso gut wusste wie ich. Jedes Mal, wenn er den Becher mit dem Tee in die Hand nahm, zitterte sie, und wenn er uns ansah, flatterte sein Blick. Und sobald er das Krankenhaus oder seine Krankheit erwähnte, wurde sein Grinsen breiter.
Gav und ich waren nicht die Einzigen, die eine Fassade aufrechterhielten. Ich musste mit ansehen, wie Warren seine Show abzog, indem er scherzte und Witze riss und ein stechender Schmerz bohrte sich in meine Brust.
Er hat Angst, wie jeder andere das an seiner Stelle auch hätte. Keine Ahnung, wie viel seines fröhlichen Theaters dazu dient, seine eigene Stimmung zu heben, und wie viel er Gav zuliebe spielt, aber das ist auch nicht wirklich wichtig. Denn so oder so konnte ich nichts weiter tun, als nach oben zu gehen und ihm ein neues Buch zu holen.
Danach bin ich hierhergekommen, um das alles aufzuschreiben, so wie ich sonst über das Verhalten der Kojoten Buch geführt oder meine Beobachtungen der Seemöwen aufgezeichnet hätte.
Nutzlos. So unglaublich und komplett nutzlos.
5. Dezember
Ich hab’s gefunden! O mein Gott, Leo, ich hab’s! Die Antwort war da, die ganze Zeit! Ich habe bloß nicht weit genug zurückgeschaut.
Wahrscheinlich hätte ich die Verbindung nie gesehen, wenn Howard nicht gewesen wäre – der Überlebende, der die Leichen aus dem Krankenhaus bringt.
Ich glaube, seit der Strom ausgefallen ist, wohnt er auch dort. Heute Morgen bin ich in die Krankenhausküche, um ein bisschen Wasser abzukochen, weil das schon wieder knapp wird, da war er auch da und mischte gerade Milchpulver in ein Glas Wasser, um es anschließend auf sein Müsli zu gießen.
Ich hatte ihn noch nie ohne seinen Transportwagen gesehen. Er ist größer, als ich dachte, wahrscheinlich weil er sich sonst immer herunterbeugen muss, um ihn zu schieben. Und obwohl seine Haare größtenteils grau sind, erkennt man aus der Nähe, dass er gar nicht mal so alt ist. Jünger als Dad – vielleicht so in den
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