Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
verspüren.
Wem Besitztümer abhandenkommen, egal ob durch Diebstahl, einen Brand oder die eigene Schludrigkeit, beschäftigt sich oft lange mit dem Verlust. Die Trauer um einen geliebten Gegenstand mag in ihrer Intensität nicht mit der Verzweiflung nach dem Tod eines Menschen vergleichbar sein. Doch der Verarbeitungsprozess verläuft ähnlich wie bei Hinterbliebenen: Verleugnung, Zorn, Depression und schließlich – oft erst nach vielen Monaten – Akzeptanz.
Wie tief und anhaltend die Gefühle für verlorene Gegenstände sein können und wie schwierig sich die Rückkehr in ein normales Leben gestaltet, belegt eine Studie zu einem Großflächenbrand in Florida. Zwischen Mai und Juli 1998 wüteten im Staat an der südöstlichen Spitze der USA verheerende Wald- und Buschbrände, schlimmer als jedes Feuer, das die Region bis dahin erlebt hatte. Die Flammen erstreckten sich über 2000 Quadratkilometer (eine Fläche fast so groß wie das Saarland), und 130000 Menschen mussten evakuiert werden. Glücklicherweise kam niemand zu Tode; allerdings wurden 368 Häuser beschädigt oder zerstört.
Ein interdisziplinäres Forscherteam untersuchte später, welche längerfristigen psychologischen Folgen das Desaster auf die Opfer hatte. Dazu wurden 68 Bewohner, die gravierende Sachschäden erlitten hatten, jeweils ein Jahr und vier Jahre nach dem Brand befragt. Es war schwierig für sie, die Ereignisse im Gespräch noch einmal zu durchleben, sie haderten damit, über ihre Gefühle zu sprechen. Die Zerstörung des Heims und der Verlust geliebter Dinge hatten offenbar tiefe Wunden hinterlassen. Alle waren rechtzeitig evakuiert worden, so dass niemand in Lebensgefahr geriet. Doch bei der Rückkehr das eigene Haus beschädigt oder gar zerstört vorzufinden, hatte oft zu einem regelrechten Schock geführt, von dem sich die Betroffenen nur langsam erholten. Ein Mann namens Travis beschrieb es so: »Als ich zurückkam, war das Haus praktisch weg. Es das erste Mal zu sehen, nur vier Wände und kein Dach und keine Eingangstür und keine Fenster – Worte können das nicht beschreiben, außer man hat es selbst erlebt. Alles, wofür man sein Leben lang gearbeitet hat, ist ein Haufen Asche, vielleicht einen halben Meter hoch, der sich durch das ganze Haus erstreckt. Wie soll man dieses Gefühl in Worte fassen?«
In den Erzählungen der Opfer waren die verschiedenen Trauerphasen deutlich zu erkennen. Viele der Interviewten berichteten, dass sie den Verlust zunächst nicht wahrhaben wollten (»Wir konnten einfach nicht glauben, dass dies unser Haus war!«, »Ich wollte nicht aussteigen und es mir ansehen.«). Dann setzte oft heftige Wut ein, gefolgt von einer depressiven Phase (»Ich hatte das Gefühl, das Leben ist für mich zu Ende.«). Je weiter das Ereignis in die Vergangenheit rückte, desto mehr ließ der Verlustschmerz nach und gelang es den Trauernden, eine positivere Perspektive zu entwickeln. (»Die Erinnerung [an die verlorenen Sachen] wird immer in meinem Herzen sein.«, »Man kann wirklich etwas aus solchen Erfahrungen lernen.«)
Zur Krisenbewältigung gehörte auch, sich mit dem zu befassen, was die Flammen übrig gelassen hatten. Die Opfer beschrieben die emotionsreiche Erfahrung, wie Goldsucher in Schutt und Asche zu wühlen. Insbesondere nach geliebten Objekten wurde intensiv gesucht. Oft waren schmutzige Hände die einzige Ausbeute. Doch manchmal gab es auch beglückende Funde. Eine Frau entdeckte ihren Ehering und den ihres Mannes unversehrt in einem Safe, ein Mann ein paar Züge seiner Modelleisenbahn zu einem Metallklumpen verschmolzen. Auch beschädigte Fundstücke wurden in der Regel behalten. Die Besitzer schienen sogar besonders an ihnen zu hängen – so wie man einen Hund, der vom Zusammenprall mit einem Auto ein lahmes Bein zurückbehält, besonders liebt. Selbst völlig banale Dinge, eine geschmolzene Glühbirne, die Scherbe eines Kaffeeservices, bekamen nun eine spezielle Bedeutung: Sie dienten als authentischer Beweis für die Tortur, die die Besitzer mitgemacht hatten.
Zur Rückkehr in den Alltag gehörte auch, die Häuser wieder aufzubauen und einkaufen zu gehen. Man sollte meinen, in einem konsumfreudigen Land wie den USA hätte die Aussicht, sich ganz neu einzurichten und einzukleiden, die Opfer mit einer gewissen Freude erfüllt. Dies war aber nicht der Fall. Die Interviewten beschrieben die ersten Shoppingtouren nach dem Feuer als »Ersatz der Lebensnotwendigkeiten«, als »Kauf von Zeug«, das für
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