Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Inbesitznahme eines Feldes oder Jagdreviers durch ein paar Tropfen Blut oder das Vergraben einer Nabelschnur angezeigt. Beaglehole spricht in diesem Zusammenhang von magisch-animistischen Praktiken, weil ihnen die Annahme zugrunde liegt, durch körperlichen Kontakt gehe die Lebenskraft eines Menschen auf Gegenstände über.
Der Psychologe führt zahlreiche weitere Verhaltensweisen auf, die das enge Band zwischen Selbst und Eigentum belegen. Die Palaungs, die in China beziehungsweise Myanmar leben, lehren ihre Kinder, unter keinen Umständen – auch nicht im Spaß – die Kleidung eines anderen anzulegen; andernfalls würden alle schlechten Eigenschaften des Besitzers auf sie übergehen. Die Kayans auf Borneo sehen es als großes Unglück an, Gegenstände, die ein Kind benutzt hat, zu verlieren und würden niemals Wiege, Spielzeug und Babykleidung von Sohn oder Tochter weggeben. Für die in Indien ansässigen Nagas sind Stuhl und Bett so eng mit der Persönlichkeit des Besitzers verbunden, dass es als große Beleidigung gilt, ohne seine ausdrückliche Erlaubnis dort Platz zu nehmen. Bei den australischen Aborigines gelten sogar alle Besitztümer als mit der Seele des Besitzers aufgeladen und niemand würde einen herumliegenden Gegenstand einfach so anfassen. Fast wünschte man, das wäre auch bei uns so: Wenn ein Aborigine auf Wanderschaft geht, kann er selbst wertvolle Werkzeuge einfach zurücklassen, denn er kann relativ sicher sein, sie bei seiner Rückkehr noch vorzufinden.
Auch wenn ein Mensch stirbt, wird sein Eigentum weiterhin als Symbol seiner Identität angesehen, wie andere anthropologische Studien zeigen. In vielen Kulturen werden Tote mit ihren Sachen begraben, ein Brauch, mit dem die frühen Menschen bereits vor mindestens 60000 Jahren begannen. Bei manchen Naturvölkern vermeidet man es sogar, die Sachen eines Toten anzufassen, um nicht mit dessen Persönlichkeit »kontaminiert« zu werden. Bei Initiationsriten, die den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter, die Aufnahme in eine religiöse Gruppe oder die Ernennung zum Krieger markieren, spielen Besitztümer ebenfalls eine große Rolle. Zu Beginn des Rituals muss der Anwärter häufig seine Sachen abgeben, so als würde er sich mit den Dingen auch seiner alten Identität entledigen. Wenn der Anwärter die Transformation dann erfolgreich beendet hat, erhält er nicht nur einen neuen Namen oder einen neuen Haarschnitt, sondern auch bestimmte Objekte – einen Speer, ein Gewand –, die seine neue Identität symbolisieren.
In unseren Breitengraden mag es unüblich sein, auf ein neues Grundstück Blut zu tropfen oder Tote mit ihren Besitztümern zu beerdigen. Doch auch hierzulande gibt es zahlreiche Verhaltensweisen und Rituale, die die Verzahnung von Dingen und Identität unterstreichen. Das Tragen eines Eherings definiert den Träger als verheiratete Person. Wer eine Uniform anlegt, sei es als Polizist, Priester oder Arzt, schlüpft dadurch in eine bestimmte Rolle. Wenn Eltern heute dem Nachwuchs das erste eigene Handy kaufen, ist das oft so etwas wie der offizielle Eintritt ins Teenageralter.
Viele Menschen pflegen auch persönliche Riten, die ihre Verbundenheit mit Sachen offenbaren. Der eine schmückt, wenn er Geburtstag hat, sein Auto mit einer Blume; ein anderer pflegt nach einer längeren Urlaubsreise erst mal durch seine Wohnung zu schreiten, um sie so wieder in Besitz zu nehmen. Und wer seine Identität verändern will, dokumentiert dies gerne, indem er sich von Dingen trennt oder sie sogar zerstört: Man mistet die Schränke aus, gibt Klamotten in die Altkleidersammlung oder verbrennt die Liebesbriefe des Ex. Wer sich selbst beobachtet, wird sicher viele solcher Verhaltensweisen bei sich entdecken.
Aufschluss über die eigene Beziehung zu Dingen kann der Zwanzig-Aussagen-Test geben. Auf die Frage »Wer bin ich?« fallen einem möglicherweise Antworten wie »Mercedesfahrer«, »stolzer Besitzer einer Eigentumswohnung«, »Sammler von Jugendstilschmuck« oder »immer auf der Suche nach einem schicken Paar Schuhe« ein. Eine andere Methode, dem eigenen Verhältnis zu Dingen auf die Spur zu kommen, besteht darin, sich die hypothetische Frage zu stellen: Was würde ich in den Koffer packen, wenn ich auswandern müsste? Oder: Welche Sachen würde ich unbedingt vor einem Feuer retten? Das Tagebuch, dem man all seine geheimen Gedanken und Gefühle anvertraut? Den roten Blazer, in dem man immer so viele Komplimente bekommt? Oder die Uhr,
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