Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Jurastudenten mehr Wert auf professionell erscheinende Accessoires legten als praktizierende Juristen. Solche Dinge können als »symbolische Selbstergänzung« dienen, so die Folgerung der Wissenschaftler, mit deren Hilfe sich Minderwertigkeitsgefühle und wahrgenommene Schwächen im Selbstkonzept kompensieren lassen.
◆ Soziale Zugehörigkeit: Besitztümer spiegeln auch unsere Vernetzung mit anderen wider – das im Wohnzimmer hängende Kreuz drückt die Verbundenheit mit der christlichen Gemeinschaft aus, eine Uniform dokumentiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, Erbstücke stehen für Familienbande. Manchmal sind es sogar die Gegenstände selbst, weshalb eine Gruppe überhaupt zusammenkommt, man denke nur an einen Harley-Davidson Club oder einen Philatelistenverein. Auch Geschenke gehören in diese Kategorie. In vielen Kulturen gelten Geschenke als eines der wichtigsten Mittel, um zwischenmenschliche Beziehungen zu stärken. Mit dem Präsent gibt der Schenkende in gewisser Weise auch einen Teil von sich selbst, denn in die Auswahl oder Herstellung hat er Zeit und Energie gesteckt. Man kann es allerdings auch negativ sehen. Jean-Paul Sartre argumentierte, »zu schenken bedeutet, jemand anderen zu unterwerfen.« Der Beschenkte sei der Macht des Schenkenden ausgesetzt, denn er habe meist wenig Kontrolle über die Art des Geschenks und werde durch die Gabe an den Schenkenden erinnert, ob er wolle oder nicht. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings, dass viele Menschen geschenkte Gegenstände zu ihren liebsten Dingen zählen – und sie selbst dann behalten, wenn sie sie eigentlich gar nicht mögen. Dies mag daran liegen, dass Geschenke oft von Menschen kommen, die uns besonders nahestehen und an die wir gerne erinnert werden wollen.
◆ Lebensrückblick: Viele Menschen hängen an Dingen, die sie an bedeutsame Momente in ihrem Leben erinnern wie Heirat, Geburt der Kinder, Pensionierung, Reisen, Liebesbeziehungen und Trennungen. Dinge sind als Gedächtnisstützen gut geeignet, weil sie räumliche und zeitliche Distanzen überwinden können. Der Karibikstrand, an dem ich einen Traumurlaub verbrachte, mag weit weg sein; doch das mitgebrachte Fläschchen mit Sand steht direkt vor mir auf dem Schreibtisch. Fotos, Tagebücher und Briefe holen weit zurückliegende Ereignisse in die Gegenwart. Oft sind es nicht einzelne Objekte, sondern ganze Sammlungen von Sachen, die mit autobiografischer Bedeutung aufgeladen sind. Wie Requisiten auf einer Bühne laden sie dazu ein, die Geschichte des eigenen Lebens zu erzählen. Autobiografisch bedeutsame Dinge werden oft als einmalig und unwiederbringlich erlebt, denn ihr Wert liegt darin, dass sie in einem bestimmten Moment »dabei waren«, so wie der Tennisschläger, mit dem man ein wichtiges Match gewonnen hat. Er kann nicht durch einen anderen Schläger ersetzt werden, selbst wenn dieser völlig identisch aussieht.
◆ Reflexion und Selbstgespräch: Wer regelmäßig ein Tagebuch führt, weiß, wie gut man sich selbst dabei kennenlernt. Auch andere Dinge laden zur Selbstreflexion ein: Fotos, die einen zum Nachdenken inspirieren, der MP3 -Player, der den Rückzug in die eigenen Gedanken erleichtert, ein Stofftier, dessen flauschiges Fell einem Geborgenheit vermittelt. Sogar zu regelrechten Gesprächspartnern können Dinge werden. So wie »Kitty«, das berühmte Tagebuch von Anne Frank, wählen viele Menschen Gegenstände als imaginäre Gefährten, denen sie geheime Gedanken erzählen oder die ihnen durch schwierige Momente helfen. Zum sogenannten Anthropomorphismus (Vermenschlichung) eignen sich besonders gut Sachen, die menschliche Gesichter darstellen (Puppen, Poster), Talismane und andere Objekte, denen magische Kräfte zugeschrieben werden, sowie Dinge, die ein Eigenleben zu haben scheinen wie Autos und Computer. Der besondere Reiz von dinglichen Gesprächspartnern: Man braucht keine Widerworte zu fürchten.
Diese Liste beleuchtet die wohl wichtigsten Funktionen von Dingen, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt noch viele andere Gründe, warum Gegenstände für Menschen wichtig sind. Zudem lässt sich eine Sache nicht unbedingt nur einer einzigen Kategorie zuordnen. Viele Dinge erfüllen mehrere Zwecke. Ein Buch kann für mich einen instrumentellen Wert haben, weil es mich unterhält oder inspiriert. Gleichzeitig erinnert es mich vielleicht an eine wichtige Zeit in meinem Leben oder an die beste Freundin, die es mir geschenkt hat. Je
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