Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Lieblingspullover als »Rüstung« angezogen hat, weiß was ich meine. Stellen unsere Sachen nicht gleichzeitig eine materielle Brücke zwischen der psychischen und materiellen Welt dar? Man denke nur daran, wie schnell sich bestimmte Gefühle, Erinnerungen oder Wünsche einstellen, wenn man ein Lieblingsstück in den Händen hält.
In Zeiten emotionaler und mentaler Krisen ist die Schutz- und Brückenfunktion von Besitztümern in der Tat besonders relevant. Die Verbundenheit zwischen Selbst und Dingen scheint so stark zu sein, dass selbst eine schwere psychische Störung sie nicht unbedingt unterbrechen kann. Eine Studie an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Köln brachte zu Tage, dass bei Schizophrenie-Patienten in einer psychotischen Phase, wenn viele Aspekte des Selbst und der Selbstwahrnehmung gestört sind, die Beziehung zum Eigentum bestehen bleibt. So konnten die zwanzig befragten Frauen oft erstaunlich genau über ihre Besitztümer zu Hause Auskunft geben und sagen, welche Sachen sie gerne in der Klinik hätten. Während sie ansonsten einen zum Teil sehr verwirrten Eindruck machten, sprachen sie mit Klarheit über ihre Kleider, geliebte Schmuckstücke oder Spielsachen aus der Kindheit. In dem Moment, als die Patientinnen über ihre Besitztümer redeten, betont der Autor, wurde ihre frühere Persönlichkeit wieder lebendig: »Es taucht zwangsläufig vor unserem Auge ein anderer Mensch auf, als der, der als kranke Person bei der Exploration zugegen war.« Ihre Sachen wirkten wie ein Fenster in ein früheres, ein gesünderes Selbst der kranken Frauen.
Blutvergießen und andere Besitzrituale
Ernest Beaglehole war ein neuseeländischer Psychologe, der im Laufe seines leider kurzen Lebens (er starb mit 59 Jahren ) die ganze Welt bereiste. Mit seiner abenteuerlustigen Frau Pearl erforschte er die Kultur der Einheimischen auf einem abgeschiedenen Atoll im Pazifik, auf Hawaii, bei den Hopi-Indianern in Arizona und auf Tonga. Später hatte Beaglehole eine Professur im neuseeländischen Wellington inne, leitete aber auch UN -Missionen nach Bolivien, Ecuador und Peru. Für die Psychologie der Dinge ist der umtriebige Forscher wegen einer Studie interessant, die er 1932 unter dem kurzen, aber prägnanten Titel Property (Besitz) veröffentlichte. Aufgrund ihrer zukunftsweisenden Forschungsmethode erregte sie damals unter Wissenschaftlern große Aufmerksamkeit und gilt auch heute noch als eine der herausragenden Arbeiten dieser Zeit. Auf rund 300 Seiten lieferte der Autor einen umfangreichen Überblick über »die Grundlagen und die Natur der Besitzrechte«, wie er in der Einleitung schrieb. Dazu trug er nicht nur zusammen, was Psychologen damals über die menschliche Beziehung zu Besitztümern wussten. Er durchforstete auch biologische und anthropologische Veröffentlichungen, die das Verhältnis von Tieren und von Naturvölkern zu Objekten thematisierten.
Der Ausflug ins Tierreich stellte sich allerdings weitgehend als Sackgasse heraus. Ausführlich und mit vielen Details beschrieb Beaglehole Aktivitäten, die man bei Insekten, Vögeln, Nagetieren, Raubtieren und Affen beobachten kann: das Sammeln und Horten von Nahrung, den Bau von Brut- und Schlafplätzen, das Verteidigen des Territoriums vor Eindringlingen. Dieses Verhalten, schloss er, könne man aber nicht ohne Weiteres mit dem menschlichen Besitzstreben vergleichen. Die Beziehung von Tieren zu Dingen sei rein funktional und diene im Wesentlichen der Befriedigung von Grundbedürfnissen.
Sehr aufschlussreich dagegen waren die Gewohnheiten von »Wilden«, wie man damals noch sagte. Beaglehole listete Daten von mehr als dreißig Naturvölkern aus allen Winkeln der Welt auf. In umfangreichen Tabellen stellte er Informationen zur Nutzung von Behausungen und Kanus, zum Umgang mit Lebensmitteln und zum Verbleib von Hab und Gut nach dem Tod des Besitzers zusammen. Die zentrale Aussage dieses Kapitels: Auch – und gerade – bei Naturvölkern werden Dinge als Teil der menschlichen Identität angesehen.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel sind die Rituale, die beim Erwerb neuer Sachen praktiziert werden. Beaglehole beschreibt, wie Eskimos an einem neuen Kanu oder einem neuen Speer lecken, um sie in Besitz zu nehmen. Bei manchen afrikanischen Stämmen gehört ein Trinkgefäß automatisch demjenigen, der es mit dem Mund berührt. Bei den Maoris nimmt ein Stammeshäuptling ein Stück Land in Besitz, indem er dort einige seiner Haare vergräbt. Anderswo wird die
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