Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
aus der simplen Frage »Wer bin ich?«, darunter zwanzig leere Zeilen, die man innerhalb einer vorgegebenen Zeit so weit wie möglich füllen soll. Dieses Instrument ist eine in Psychologie und Soziologie beliebte Methode, um das Identitätsgefühl eines Menschen zu erkunden. Im Schnitt produzieren Menschen rund siebzehn Antworten, die sehr unterschiedlich ausfallen können. Einer schreibt vielleicht »ein Mann« oder »eine Ärztin«, jemand anders »braunhaarig«, »intelligent« oder »aus Wuppertal«. Was aber hat das mit der menschlichen Verbundenheit mit Dingen zu tun? In einer Studie ließen Wissenschaftler 157 Schüler besagten Test machen. Zur Überraschung der Forscher bezogen die Teilnehmer spontan auch materielle Objekte in die Beschreibung ihres Selbst ein (»ein Autobesitzer«, »jemand, der hübsche Kleider hat«, »jemand, der nie genug Geld hat«) und das, obwohl Besitztümer in den Instruktionen gar nicht erwähnt worden waren.
Ernst Prelinger, heute Professor für klinische Psychologie an der Yale-Universität in New Haven, setzte eine Untersuchungstechnik ein, die es erlaubt, die Stärke der Identität mit Dingen quantitativ zu messen. Dazu legte der Forscher sechzig Soldaten, die an einem amerikanischen Militärkrankenhaus Dienst taten, eine Liste mit 160 möglichen Elementen des Selbst vor. Darauf fanden sich Besitztümer im engeren Sinne, etwa die eigene Armbanduhr, aber auch Begriffe wie ein Jucken an den Fußsohlen, die Leute in der Heimatstadt und das politische System der Demokratie. Auf einer Skala von 0 (»gar nicht«) bis 3 (»sehr stark«) sollten die Teilnehmer für jedes Objekt angeben, inwieweit sie es als Teil des eigenen Selbst empfanden. Aus den Angaben konnte Prelinger dann Werte ermitteln, die angeben, wie stark sich die Teilnehmer im Schnitt mit einem Objekt beziehungsweise einer Objektkategorie identifizierten.
Stellt man sich das Selbst als Zwiebel mit mehreren Schichten vor, wobei das »Selbstgefühl« vom Kern ausgehend bis zur äußeren Schale immer weiter abnimmt, dann lassen sich Prelingers Ergebnisse wie folgt zusammenfassen. Relativ nah am Zwiebelkern lagen die Körperteile; mit einem Wert von 2 , 9 8 erreichten sie fast das rechnerische Maximum von 3 , 0 . Den Hals oder die Haut sahen die Befragten also sehr stark als Teil des Selbst an. Die nächste Schicht bildeten körperliche und psychische Vorgänge, beispielsweise sexuelle Erregung oder das Gewissen, die einen Wert von 2 , 46 erzielten. Noch weiter außen wurden identifizierende Merkmale wie Alter, Beruf und Geburtstag verortet; für sie berechnete Prelinger einen Wert von 2 , 22 .
Eine Reihe der auf der Liste genannten Objekte erreichten aber auch nur Werte von weniger als 1,5 und lagen damit außerhalb der rechnerischen Grenze von Selbst und Nicht-Selbst. Dazu gehörten abstrakte Ideen ( 1,36 ) sowie andere Menschen ( 1 , 10 ). Selbst enge Verwandte wie den eigenen Vater sahen die Befragten nicht mehr als Teil des Selbst an. Noch weniger identifizierten sie sich mit Objekten in der weiteren und ferneren Umgebung, die ihnen nicht gehörten, beispielsweise der Schmutz an den Händen oder der Mond. Sie errichten auf der Skala nur Werte von 0,64 beziehungsweise 0,19.
Und wie schätzten die Teilnehmer ihre eigenen Sachen ein? Interessanterweise zeigte sich, dass Besitztümer die äußerste Schicht der Zwiebel bildeten. Mit einem Wert von 1,57 lagen sie gerade noch im »Selbst-Bereich«. Allerdings muss man dazu sagen, dass Prelingers Vorgehensweise nicht ganz glücklich war. So fragte er auch nach Besitztümern wie Toilettenartikel, die man schnell aufbraucht und die wahrscheinlich für die wenigsten Leute eine tiefere Bedeutung haben. Eine Studie, die nur nach bedeutungsvollen Besitztümern oder gar Lieblingsdingen fragen würde, käme sicher auf deutlich höhere Werte. Außerdem fasste Prelinger die Kategorie aus nicht ganz erklärlichen Gründen mit »eigenen Produkten« wie Schweiß auf der Stirn zusammen, was die Aussage der Studie weiter verzerrt.
Andererseits bringt das Ergebnis den Zauber und das Geheimnis unserer Beziehung zu Dingen vielleicht geradezu perfekt auf den Punkt. Bilden unsere Besitztümer nicht in der Tat die Grenze zwischen Innen und Außen, zwischen Ich und Nicht-Ich? Wirken sie nicht oft wie eine materielle Barriere, die unser Inneres vor der Außenwelt schützt? Jeder, der sich schon einmal in einem verzweifelten Moment ins Bett geflüchtet oder vor einem Streitgespräch seinen
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