Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
Freude quietscht, spricht daraus reine Lebensfreude.
Als er den Film drehte, hatte der Regisseur sicher keine Studie der menschlichen Beziehung zu Dingen im Sinn. Dennoch macht der Streifen auf eindrucksvolle Weise klar: Eine Kindheit ohne ständige Auseinandersetzung mit Gegenständen aller Art ist nicht vorstellbar. Dabei ist es egal, ob man bei einem Naturvolk in Afrika groß wird oder mit seinen Eltern in einer wohlhabenden Stadt wie San Francisco oder Tokio lebt. In vielerlei Hinsicht sind Dinge in den ersten Lebensjahren sogar wichtiger als jemals wieder im Leben, denn sie fördern die Entwicklung von Ich-Gefühl, Autonomie, Fantasie und Sozialverhalten. Spielzeuge und andere Sachen können Sparringspartner sein, die Kinder faszinieren, unterhalten und beruhigen, sie aber auch ängstigen und ärgern. Gegenstände erlauben ihnen, ihre Möglichkeiten und Talente zu erkunden. Durch Dinge lernen sie ihre Kultur kennen und erfahren die Notwendigkeit zu teilen und Konflikte auszutragen.
Rettungsanker Schmusedecke
Um die spezifische Bedeutung von materiellen Objekten für Kinder – und andere Altersklassen – zu verstehen, ist es hilfreich, einen Ausflug in die Theorie der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung zu machen. Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erik Erikson stellte 1950 ein Modell vor, das die menschliche Reifung von der Geburt bis ins hohe Alter beschreibt. Der Ansatz wurde unter dem etwas sperrigen Namen »Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung« bekannt und gilt auch heute noch als eine der einflussreichsten Theorien in der Entwicklungspsychologie. Nach Erikson durchläuft der Mensch acht unterschiedliche Phasen in seinem Leben. In jeder Stufe kommt es zu einer spezifischen Art von Krise, die durch das Aufeinandertreffen der Bedürfnisse des Individuums und den Anforderungen der Umwelt entsteht. Die Bewältigung dieses Konfliktes bezeichnet Erikson als Entwicklungsaufgabe. Sie kann auf positive Weise bewältigt werden, was zu persönlichem Wachstum führt. Aber auch eine negative Lösung ist möglich, die dann die Saat für zukünftige Probleme legt. Die folgende Tabelle gibt einen groben Überblick über Eriksons Modell; dabei sind die Altersangaben lediglich als Richtwerte zu verstehen:
Stufe
Alter
Krise
Säugling
1. Lebensjahr
Vertrauen – Misstrauen
Kleinkind
2 bis 3 Jahre
Autonomie – Selbstzweifel
Spielalter
4 bis 6 Jahre
Initiative – Schuldgefühl
Schulalter
7 bis 12 Jahre
Kompetenz – Minderwertigkeitsgefühl
Jugend
12 bis 20 Jahre (oder länger)
Identität – Rollenkonfusion
Junge Erwachsene
ab 20 bis 34 Jahre
Intimität – Isolation
Mittlere Erwachsene
35 bis 65 Jahre
Generativität – Selbstbezogenheit
Senioren
ab 65 Jahre
Integrität – Verzweiflung
Erikson selbst hat sich meines Wissens nicht explizit mit Gegenständen befasst. Dennoch ist sein Modell für die Frage, wie sich die Beziehung von Menschen zu ihren Besitztümern im Laufe des Lebens verändert, äußerst aufschlussreich. So haben andere Wissenschaftler gezeigt, dass die von Erikson beschriebenen alterstypischen Entwicklungsschritte und Krisen auch das Verhältnis zu Dingen bestimmen. Mit anderen Worten: Welche Funktion Dinge für einen Menschen haben, hängt zu einem großen Teil von der Lebensphase ab, in der er sich befindet.
Bei Kindern ist dieser Zusammenhang besonders deutlich. Wie obige Liste zeigt, teilt Erikson die Kindheit in vier Phasen, in denen jeweils bestimmte Aufgaben zu bewältigen sind. Dabei sind materielle Objekte unerlässlich. Säuglinge beispielsweise müssen zunächst einmal Vertrauen zu ihren Eltern fassen und gleichzeitig lernen, dass sie eigenständige Lebewesen sind. Einem Baby helfen Gegenstände dabei, ein Verständnis für den Unterschied zwischen »Ich« und »Umgebung« zu entwickeln. Durch ihre Stofflichkeit und Stabilität liefern sie dem Kind wertvolles physisches Feedback. Es ist eine Möglichkeit, die Welt im wahrsten Sinne zu begreifen. Wenn ein Baby ein Holzpferd hin- und herbewegt, mit seiner Hand ein Mobile zum Schwingen bringt oder ein Glas vom Tisch schiebt, so dass es zerbricht, lernt es: Es gibt da offenbar ein Wesen, das in der Lage ist, solch faszinierende Wirkungen zu erzielen – und dieses Wesen bin ich!
In der Kleinkinderzeit geht es vor allem darum, autonomer zu werden und den eigenen Willen zu entdecken. Die Grundfrage für Zwei- und Dreijährige lautet: Kann ich etwas alleine machen oder bin ich von anderen abhängig? In dieser Phase haben
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