Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
und Decken bauen, eine Modenschau mit Mamas Kleidern – alles scheint spannend und machbar zu sein. Manche Ideen lassen sich realisieren, andere übersteigen die kindlichen Fähigkeiten oder belästigen andere. Gegenstände erlauben Kindern, sich in andere Welten zu versetzen und allerhand verrückte Sachen zu machen, aber auch Grenzen auszutesten. Ich selbst werde beispielsweise niemals den Wutausbruch des Nachbarn vergessen, als unsere Kinderclique »Weitwerfen mit Murmeln« übte und sein Auto dabei einige Geschosse abbekam. Ups!
Für Grundschulkinder schließlich dreht sich alles darum, komplexere Fähigkeiten zu erlernen und ein Bewusstsein für die eigenen Talente zu entwickeln. Kinder in diesem Alter wollen nicht mehr nur spielen und so tun »als ob«, sie wollen an der Welt der Erwachsenen teilhaben. Sie lassen sich gerne dazu ermuntern, Dinge zu produzieren – Christbaumschmuck, Kekse, Drachen – oder neue Fertigkeiten wie Tennis- oder Klavierspielen zu lernen. Es richtig zu machen, es gut zu machen, ist ihnen wichtig und dafür sind sie meist bereit, sich anzustrengen. Wenn man Grundschüler nach besonders wichtigen Gegenständen fragt, nennen sie typischerweise Dinge wie Sportutensilien, Musikinstrumente und elektronische Geräte. Indem sie Flöte spielen, Fahrrad fahren oder einen Computer bedienen, entwickeln sie ein Gefühl von Kompetenz, von »Werksinn«, wie es bei Erikson heißt.
»Ich kontrolliere, also bin ich«
Will man die Beziehung von Kindern zu Dingen auf einen Nenner bringen, dann vielleicht am besten unter dem Stichwort Kontrolle. Ich kontrolliere Dinge, also bin ich, so könnte man die kindliche Erfahrung zusammenfassen. Ob Mama gute oder schlechte Laune hat, wann sie auf den Spielplatz dürfen und wie oft sie zum Arzt müssen, all das können Kinder kaum oder gar nicht bestimmen. Über Spielsachen dagegen haben sie Macht. Die Amerikanerin Lita Furby, eine Pionierin in der psychologischen Forschung zu Dingen, hat eine ganze Theorie zum Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Selbst und der Kontrolle von Gegenständen entwickelt. »Die Kontrolle, die Kinder über ihre eigenen Sachen ausüben«, betont die Psychologin, »ist oft genauso groß wie über den eigenen Körper.« Das mache sie als Entwicklungshilfe so interessant, denn »es führt dazu, dass Dinge in das Selbstkonzept aufgenommen werden«. Indem Kinder lernen, dass sie Dinge kontrollieren können und nicht von ihnen kontrolliert werden, stärkt sich ihr Gefühl für die eigene Individualität.
Empirische Arbeiten bestätigen, dass bereits Sechsjährige Spielzeug, Kleider oder andere Sachen als Teil ihres Selbst verstehen. In einer amerikanischen Untersuchung, die sich an Prelingers »Zwiebelstudie« orientierte, befragten zwei Wissenschaftler 120 Schüler im Alter zwischen 6 und 16 zu ihrem Selbstkonzept. Alle Altersgruppen – auch die Jüngsten – sahen Besitztümer nicht als »Umgebung«, sondern als Teil der eigenen Person an. Die Identifikation mit Dingen scheint sogar noch früher zu beginnen. In einer anderen Studie wurden Dreijährige gebeten, sich selbst zu beschreiben. Spielsachen, so zeigte sich, spielten für ihr Selbstbild eine große Rolle. Die kleinen Probanden definierten sich beispielsweise als »Kind, das eine Puppe hat« oder betonten: »Mein Fahrrad würde ich niemals weggeben«. Solche besitzorientierten Beschreibungen waren sogar häufiger als Hinweise auf ihr Geschlecht, ihr Alter oder die Beziehung, in der sie zu anderen Menschen standen.
Wenn wir uns als Erwachsene mit unseren Besitztümern gleichsetzen, nicht zwischen » me« und » mine« unterscheiden können, wie es William James so anschaulich beschrieb, dann ist das also etwas, was wir schon fast unser gesamtes Leben lang machen. Wer in seinen Kindheitserinnerungen kramt, der wird bestimmt auf viele Szenen stoßen, in denen Dinge eine große Rolle spielten. Für den einen sind es vielleicht unbeschwerte Schatzsuchen am Strand, für den anderen magische Momente, in denen Möbel und Vorhänge zu leben schienen, oder die tiefe Verzweiflung über ein verlorenes Spielzeug. Vielleicht hängen wir als Erwachsene auch deshalb so an unseren Büchern, Kleidern und Autos, weil es Gegenstände waren, durch die wir einst die Welt – und uns – kennenlernten. Vielleicht umgeben wir uns so gerne mit Dingen, weil sie in uns Erinnerungen an den Beginn unserer Existenz wecken, so wie man sich ganz unbewusst zu Gerüchen oder Musik hingezogen fühlt, die
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