Wir sollen sterben wollen Todes Helfer Ueber den Selbstmord - Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid foerdern will
Folgen eines Narkosefehlers. Sein Bruder Ernst Wilhelm Sachs (1929–1977) kam bei einem Lawinenunglück ums Leben.
Auch Gunter Sachs soll unter Depressionen gelitten haben. Vor allem aber fürchtete er sich offenbar vor dem Ausbruch einer Alzheimer-Erkrankung. Das ging jedenfalls aus einem Abschiedsbrief hervor, den seine Familie unmittelbar nach seinem Selbstmord veröffentlichen ließ. Er stelle »heute noch in keiner Weise« ein Fehlen oder einen Rückgang seines logischen Denkens fest, schrieb Sachs darin. Eine rapide Verschlechterung seines Gedächtnisses und seiner Wortfindungsfähigkeiten würden aber schon jetzt zu »gelegentlichen Verzögerungen in Konversationen« führen: »Jene Bedrohung galt mir schon immer als einziges Kriterium, meinem Leben ein Ende zu setzen.« 2
Man bedenke: Der prominente Selbstmörder war keineswegs sterbenskrank, sondern er fürchtete sich davor, krank zu werden! Allein die »gelegentliche Verzögerung in Konversationen« genügte ihm, seinem Leben ein mutwilliges und vorzeitiges Ende zu setzen. »Manni« Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, vermutlich die letzte Vertraute, mit der Gunter Sachs wenige Stunden vor seinem Tod telefoniert hatte, berichtete am 15. Mai 2011 im Interview mit einem österreichischen Magazin das Folgende: »Ich habe überhaupt nichts bemerkt. Wir haben erst kürzlich beim Käfer in München einen herrlichen Abend erlebt. Dann hat er noch im Februar den Cresta-Lauf in St. Moritz geschafft. Wer diesen Lauf mit über 70 Jahren noch schafft, dessen Namen wird im Clubhaus mit goldenen Lettern eingraviert. Damals hat er mich angerufen, war lebenslustig und hat mir stolz erzählt: ›Ich hab es geschafft.‹ […] Dieser Cresta-Lauf ist für einen 78-Jährigen eine wahnsinnige sportliche Leistung. Im März war ich bei ihm in Gstaad. Wir haben in St. Moritz extra einen Stopp gemacht, damit ich ihn fotografieren kann.« 3
Eine ernsthafte Diskussion über Sachs’ sogenannten »Freitod« fand in den Medien in den folgenden Wochen allerdings kaum statt, denn eine solche passt nicht in eine Zeit, in der die Selbstbestimmung des Menschen auf die Bestimmung seines eigenen Todeszeitpunkts ausgedehnt wird. Ähnliches war bereits zu beobachten, als der ehemalige Geschäftsführer der Flick KG , Eberhard von Brauchitsch (1926–2010), sich am 7. September 2010 gemeinsam mit seiner an der Parkinsonschen Krankheit leidenden Frau, mit der er seit fast 60 Jahren verheiratet war, unter Inanspruchnahme der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit in Zürich das Leben nahm. Brauchitsch selbst hatte nach Angaben seiner Tochter ein Lungenemphysem, eine ebenfalls behandelbare Erkrankung. 4
Was steckt hinter dem Phänomen des Suizids aus Angst vor einer schweren Krankheit? Wie lässt sich erklären, dass in unserer Gegenwart selbst reiche und noch nicht einmal sterbenskranke Leute ihren Selbstmord öffentlich zelebrieren und dafür in den Medien auch noch achtungsvolle Nachrufe erhalten? Wie ist es möglich, dass die Freiheit des Menschen neuerdings ausgerechnet in Verbindung mit Sterben und Tod gebracht und dies vom gesellschaftlichen Mainstream als sozialer Fortschritt gepriesen wird? In den folgenden Kapiteln sollen die treibenden Kräfte, die hinter dieser Entwicklung stehen, genauer betrachtet werden.
Warum das Sterben in Deutschland vom Staat neu organisiert wird
Nicht nur in Deutschland, aber hier besonders deutlich, erleben wir seit vielen Jahren eine allmähliche demographische Veränderung, die in dieser Form historisch einmalig ist. Während seit 1970 – nach dem sogenannten »Babyboom« der beiden vorangegangenen Dekaden – immer weniger Kinder geboren werden, erreichen die Menschen zugleich ein immer höheres Lebensalter. Schon heute gilt Deutschland als das »Altersheim Europas«, und statistisch gesehen steigt die Lebenserwartung der Deutschen weiter an. Männer werden durchschnittlich 77 Jahre und neun Monate alt, Frauen sogar 82 Jahre und neun Monate. Das geht aus einer Anfang Oktober 2012 veröffentlichten Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes hervor, das dafür die Sterbefälle von 2009 bis 2011 sowie amtliche Bevölkerungszahlen auswertete. Damit erhöhte sich die Lebenserwartung verglichen mit der Untersuchung für 2008 bis 2010 für Jungen um drei Monate, für Mädchen um zwei Monate. Auch die Lebenserwartung älterer Menschen, die bereits zahlreiche Risiken wie etwa die Säuglingssterblichkeit überstanden haben, hat weiter zugenommen. Ein heute
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