Wir sollen sterben wollen Todes Helfer Ueber den Selbstmord - Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muss Warum der Staat mit dem neuen Paragraphen 217 StGB die Mitwirkung am Suizid foerdern will
Arztes auf. Er soll und darf nichts anderes thun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und maasst er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mann im Staate; denn ist einmal die Linie überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Nothwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweiser Progression, um den Unwerth und folglich die Unnöthigkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden.« 9
Diese traditionelle Auffassung von den Aufgaben des Arztes prägte auch noch am Ende des Jahrhunderts, im Jahre 1895, die folgenden Sätze in der von Albert Eulenburg herausgegebenen Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde . Dort hieß es: »Dass auch der Arzt selbst bei allem Streben nach Euthanasie nicht berechtigt ist, das Geringste zu thun, was zur Verkürzung des Lebens beitragen kann, bedarf keiner Ausführung.« Dennoch klafften bereits zu dieser Zeit Theorie und heimliche Praxis auseinander. Während bis dahin jedoch nie offen über ärztliche Sterbehilfe gesprochen worden war, begann nun eine Diskussion mit breiter öffentlicher Resonanz, die eine lebensverkürzende Sterbehilfe für gerechtfertigt hielt, zunächst nur auf Verlangen bei unheilbar Kranken (»erweiterte Euthanasie«). Im Zuge der Entwicklung sozialdarwinistischen Gedankengutes wurde die Debatte kurz vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert angesichts einer vermeintlich drohenden »Degeneration« der Kulturvölker jedoch zunehmend von rassistischen, ökonomischen und sozialpolitischen Überlegungen dominiert.
Vom »Recht auf den Tod« zum »lebensunwerten Leben«
Am Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich die Gewichte außerhalb der Medizin bereits deutlich zu verschieben, wie besonders plastisch die 1895 erschienene Streitschrift Das Recht auf den Tod von Adolf Jost zeigt. Der 1874 in Graz geborene Jost, der später Psychologe wurde und der zu dieser Zeit in Göttingen Philosophie, Mathematik und Physik studierte, veröffentlichte die 53 Seiten starke Broschüre angeblich auf Anregung seines Vaters. Dieser hatte sich in hohem Alter das Leben genommen und in seinem Abschiedsbrief den Sohn zur Selbsttötung aufgefordert, falls ihn das Leben nicht mehr freuen sollte. Jost warf in seinem Werk die Frage auf, ob es Fälle gebe, »in welchen der Tod eines Individuums sowohl für dieses selbst als auch für die menschliche Gesellschaft überhaupt wünschenswerth ist?«. 10
Klar vom utilitaristischen Denken geprägt war Josts Auffassung über den »Wert« des Menschen, dem keine absolute Menschenwürde zugrunde liege, sondern eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung: »Der Werth eines Menschenlebens kann, einer rein natürlichen Betrachtungsweise nach, sich nur aus zwei Factoren zusammensetzen. Der erste Factor ist der Werth des Lebens für den betreffenden Menschen selbst, also die Summe von Freud und Schmerz, die er zu erleben hat. Der zweite Factor ist die Summe von Nutzen und Schaden, die das Individuum für seine Mitmenschen darstellt. […] Der Werth des menschlichen Lebens kann eben nicht blos Null, sondern auch negativ werden, wenn die Schmerzen so groß sind, wie es in der Todeskrankheit der Fall zu sein pflegt. Der Tod selbst stellt gewissermaßen den Nullwert dar, ist daher gegenüber einem negativen Lebenswerth noch immer das Bessere.« 11
Auf diese Weise wurde das subjektive »Recht« des Individuums auf autonome Bestimmung des eigenen Todeszeitpunkts unmerklich in ein objektives »Recht« der Gemeinschaft auf Vernichtung »nutzloser« Menschen transformiert. Jost rechnete vor: »Nehmen wir an, wir wüssten, dass von tausend Kranken etwa einer genesen werde, dass aber die anderen 999 Menschen noch längere Zeit unter großen Schmerzen fortleben, dann aber doch sterben würden. Wen haben wir da zu bevorzugen, die 999 oder den einen? Stellen wir uns zunächst auf den egoistischen Gesellschaftsstandpunkt. Was konsumieren oder schaden die 999 Sterbenden und was produciert der eine Gesunde, das ist die nächste Frage. Vergegenwärtigen wir uns nochmals, was vorhin über den Schaden unheilbar Kranker gesagt wurde. Rechnen wir alles zusammen, was ein solcher an Lebensmitteln, Pflege etc. braucht, ferner, was er in vielen Fällen einerseits als physischer Ansteckungsherd für seine Umgebung bedeutet, andererseits als Träger einer geistigen
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