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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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laufen. Weil ich denke, du könntest meiner sein. Ich bringe dich jetzt hier raus und dann haust du ab. Und du lässt dich hier nie wieder blicken. Kapiert?«
    »Was ist mit Jupp Jablonski?«
    »Ich glaube, der hat es hinter sich.« Er krümmte den Zeigefinger seiner Hand, als würde er einen Abzug betätigen.
    »Peng!«, sagte er dazu.
    Bastian stand auf dem Gelände des Kalkwerkes, dachte an Jupp Jablonski und überlegte, was er jetzt tun sollte. Lauf, hatte Jupp gesagt. Wenn es schiefgeht, lauf, was das Zeug hält. Kein Blick zurück. Jetzt musste er über das Wohinnachdenken.
    Ein gleichmäßiges Brummen lag plötzlich über ihm. Er starrte in einen gnadenlos hellen Himmel. In Taubengröße flogen sie über ihm. In Formation. Saubere Quadrate. Drei mal drei. Das Ganze mal vier. Sechsunddreißig viermotorige Bomber. So wohlgeordnet, hell glänzend im Sonnenlicht unter dem blauen Himmel, kamen sie gemächlich, beinahe gelassen daher. Sie warfen fast gleichzeitig ihre Last ab. Heulend sausten die Bomben nieder und schlugen krachend ein. Bastian konnte nur raten, wo. Er tippte auf das Gleisdreieck am Parkgürtel.
    Es war Samstag, der 4. März 1944.
    Er kletterte über die Mauer, stieg auf sein Fahrrad, fuhr nicht auf direktem Weg in die Stadt. Er wollte es über Nippes versuchen, und jetzt sah er auch, wo die Bomben getroffen hatten. Das ganze Viertel um den Schlachthof herum war schwer beschädigt.
    Über der weggesprengten ersten Etage einer qualmenden Ruine in der Escher Straße stand ein Mann in einer Rauch- und Staubwolke und winkte. Bastian konnte nicht erkennen, ob das Winken ihm galt.
    Er stellte sein Fahrrad gegen einen Mülleimer, der kerzengerade und unversehrt herumstand, und lief hinüber. Der Mann reichte ihm die Hand und zog ihn hinauf auf den Schuttberg. Sie standen da, wo einmal das Treppenhaus gewesen sein musste. In einer Kuhle zwischen Balkenresten, Putzstücken und Mauersteinen knieten zwei Männer auf einem Türblatt und gruben mit bloßen Händen. Sie hielten kurz inne und Bastian hörte ein Wimmern. Einer der Männer sagte beruhigende Worte.
    »Meine Frau«, erklärte der Mann zu Bastian gewandt.
    Sie bildeten eine Kette, holten Steine aus der Grube und warfen sie weg. So buddelten sie sich vorsichtig tiefer hinein. Mehr Menschen reihten sich ein und halfen. Gerade als sie die Frau aus dem Schutt zogen, hielt ein Krankenwagen vor der Ruine. Zwei Sanitäter stiegen mit einer Trage hoch und legten die Frau darauf. Sie war barfuß und die Strümpfe waren zerrissen. Das Haar war verdreckt und nass. Eine Hand krallte sich um eine leere Einkaufstasche aus Tuch. Die andere hielt sie an die Stirn. Ihre Hände waren groß und kräftig und unter einer grauen Staubschicht rot und rissig. Sie sagte: »Mir ist schlecht.« Und: »Mir ist ganz schwindelig.«
    Erst jetzt sah Bastian den großen, feuchten Blutfleck auf dem zerrissenen Kleid unter ihrer Brust, der größer wurde. Nachdem die Sanitäter sie in den Wagen gelegt hatten, wollte Bastian zurück zu seinem Fahrrad. Es war weg.
    Am Schlachthof war ein Feldlazarett aufgebaut. In einem Zelt ließ sich Bastian die Nase verarzten und an einer Gulaschkanone bekam er einen Teller Eintopf und Brot. Er blieb eine Zeit lang sitzen, trank Tee aus einem Blechbecher und rauchte. Er saß zwischen Luftwaffensoldaten, Männern vom Arbeitsdienst, Hitlerjungen und fühlte sich allein.
    Jablonski hatten sie abgeknallt und hinter ihm waren sie her. Er zuckte mit den Schultern. Was soll’s, dachte er, eine beschissene Situation mehr in meinem kleinen Leben. Er hatte schon Schlimmeres gemeistert. Er musste abtauchen.
    Ihm fiel nur noch Otto ein. Obwohl ein Leben im Untergrund, ein Leben unter Ottos Führung sicher seine eigenen Regeln haben würde. Und ob ihm das gefiel? Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Hatte er eine Wahl?
    Doch Bastian musste auch Paul und den anderen Bescheid sagen. Also zur Gärtnerei. Obschon sie da bestimmt als Erstes suchen würden. Aber er wollte nur kurz bleiben. Vielleicht würde er in der Gärtnerei auch Ralle treffen. Der könnte ihn zu Otto bringen und ein gutes Wort für ihn einlegen.
    Er befühlte seine verpflasterte Nase und sofort stiegen ihm Tränen in die Augen. Er stöhnte vor Schmerz. Es gab keinen Grund, hier noch länger rumzulungern. Bastian nutzte das Durcheinander, das der Bombenangriff mit sich gebracht hatte, schlug einen weiten Bogen um den Takuplatz und lief Richtung Widdersdorfer Straße. Er schaffte es,

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