Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Bastian direkt ins Gesicht, interessierte sich aber nur für die Nase. Er schob ihm die Hand unter das Kinn und hob es an. »Scheint gebrochen«, sagte er einsilbig. »Halt still.«
Die Hand des Mannes legte sich auf seinen Mund. Die andere griff nach Bastians Nase. Es ruckte und knackte und Bastian versuchte zu schreien. Die Hand auf seinem Mund ließ nur ein Wimmern zu.
»Das wird wieder«, sagte der Mann und grinste noch breiter. »Warte.« Er ging zurück in den Wachraum. Bastian hörte ihn kramen. Er kam zurück und klebte ihm ein Pflaster über das Nasenbein und tätschelte ihm die Wange. »Ich wette, das Auge wird auch blau.«
Bastian bekam keinen Ton heraus. Der Mann wies auf die Kiste. »Setz dich.« Er kramte nach Zigaretten und hielt ihm die Packung hin. Zögernd griff Bastian zu.
»Wenn du meiner wärst, würde ich dir das Rauchen verbieten.« Jetzt klang die Stimme wieder freundlich. »Und nicht nur das Rauchen. Auch noch ein bisschen mehr.«
Bastian nahm einen tiefen Zug. Der Qualm ätzte seine Nasenschleimhaut. Wieder kamen Tränen. Er blickte sich um. Wenn der Mann Wert auf Erziehung und Manieren legte, gab es bestimmt einen Aschenbecher.
»Nimm den großen«, sagte der Mann und schnippte seine Asche auf den Fußboden. »Heute kommt es auf ein bisschen Asche nicht an. Heute geht es um andere Kaliber.«
Bastian versuchte ein trotziges Lächeln. Er musste dem Kerl zeigen, dass er so leicht nicht kleinzukriegen war. Eine Weile sahen sie sich beim Rauchen zu.
»Und?«, fragte Bastian. »Was ist jetzt?«
»Werde bloß nicht pampig, Kleiner.« Der Mann brauste auf. Als hätte er nur darauf gewartet. »Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Du und dieser Vollidiot Jablonski.«
Da wusste Bastian sofort, dass es klug war, den Mund zu halten. Das hatte er im EL-DE- Haus gelernt.
»Ja, glotz nicht so blöde. Während du hier gemütlich eine paffst, hat die Gestapo Jablonski in der Mangel.«
Bastian sah dem Mann in die Augen. Darauf war er auch schon gekommen.
»Hältst dich wohl für schlau. Für einen harten Kerl.« Der Knollennasige machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die suchen dich. Dein Porträt hat jeder Werkschutzmann in der Tasche. Sebastian Frei. Schlosserlehrling im Osteinsatz. Du gehörst zu diesen Radaubrüdern. Den Edelweißpiraten. Na ja, was soll’s. Gestern Nacht ist Jablonskis Sabotage an den Lkws aufgeflogen.«
»O nein!« Bastian hätte sich für die Reaktion am liebsten die Zunge abgebissen.
»Also doch«, murmelte der Mann. »Du steckst mit ihm unter einer Decke.«
Bastian zuckte mit der Schulter.
»Der Zug ist nur bis Werl gekommen. Die ganze Bahnstrecke bis Soest ist zerbombt. Alles im Eimer. Sie haben die Lkws herunterfahren müssen und wollten nach Hamm. Sind nicht weit gekommen. Kolbenfresser. Einer nach dem andern. Sie standen in Fröndenberg auf der Straße. Was glaubst du, wie lange die gebraucht haben, um eins und eins zusammenzuzählen?«
Bastian verzog den Mund.
»Wenn ich dir nicht schon eine reingehauen hätte, würde ich es jetzt tun. Das ist Sabotage, mein Junge. Unsere Jungs sind da draußen im Krieg und halten ihre Knochen hin. Sie kämpfen für Deutschland und wollen den Krieg gewinnen. Vielmehr: müssen es. Und ihr schießt diese kriegswichtigen Lastwagen weg. Was meinst du, was mit denen – und mit uns allen – passiert, wenn wir den Krieg verlieren? Aber so weit denkst du ja nicht. Und dieser Jablonski auch nicht. Dieser gottverfluchte Anarchist. Mein Sohn ist auch da draußen. Wir müssen die doch unterstützen. Begreifst du das denn nicht?«
Bastian hob die Augenbrauen und sagte: »Wenn das mein Sohn wäre, der wäre nicht da draußen und würde sich totschießen lassen.«
Eine Sekunde lang glaubte Bastian, der Mann würde ihm wieder die geballte Faust ins Gesicht schlagen.
»Klugscheißer«, antwortete er stattdessen und hielt Bastian am Jackenkragen. »Elender Klugscheißer. Aber mehr bringt ihr ja wohl nicht zuwege.«
Er schüttelte Bastian und zog ihn dann ganz nah zu sich heran. »Hör zu. Ich bin Schlosser. Ich arbeite bei Ford und bin kein großer Freund der Nazis. Dass das mal zwischen uns beiden klar ist. Dich halte ich für ein Kind, für einen kleinen, dummen Jungen. Und was soll ich da mit dir machen? Du bist nicht unschuldig an dem Schlamassel.« Und er zeigte mit dem Daumen zur Halle. »Du steckst drin. Bis zum Hals. Sabotage. Dafür hängen die Nazis dich auf. Aber weißt du, was ich mit dir mache? Ich lasse dich
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