Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Bastian? Waren das die Bomber? Jetzt kommen sie schon am hellen Tag.« Otto schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf.
»Nein, Otto. Das war ein Werkschutzmann bei Ford . Ich stecke ziemlich in der Scheiße.«
»Das sehe ich«, sagte Otto. »Ist eine Weile her, dass wir miteinander gesprochen haben. Dachte, du willst mit uns nichts zu tun haben.«
»Die Zeiten ändern sich.«
»Wirklich?«
»Ja, ständig.«
Otto lächelte. »Also, Bastian, wenn du eine andere Möglichkeit hast, abzutauchen, wäre ich nicht traurig. Wir haben kaum zu fressen. Und wenn die Bomber wieder loslegen, kann es eng werden hier unten.«
Otto stand auf und ging zu dem großen gusseisernen Herd. Ein Topf dampfte. Es roch nach Kohl. Otto schöpfte Suppe in ein Kochgeschirr und brachte es Bastian. Schob es ihm über den Tisch und reichte ihm einen Löffel. Am Tisch saßen ein Mädchen und zwei Männer, die Bastian nicht kannte. Sie ließen ihn nicht aus den Augen. Das Mädchen trug ein Kleid mit einem tiefen Ausschnitt. Darüber einen Mantel, der schon bessere Tage gesehen hatte. Er war dunkel und schwer und hatte einen Pelzkragen. Sie trug ihn vorne aufgeknöpft. Als sie bemerkte, dass Bastian ihr auf den Busen schielte, lächelte sie.
»Du solltest was essen, Bastian«, sagte Otto und legte seinen Arm um die Hüfte des Mädchens.
»Habe ich gerade erst. Die Bomben haben die Gegend am Schlachthof erwischt. Es gab Eintopf zwischen den Trümmern.«
»Trotzdem«, sagte Otto. »Lass dich nicht zweimal bitten. Wer weiß, wann es wieder was gibt. Nimm dir Brot. Tee?«
Bastian nickte und löffelte die Kohlsuppe. Das Mädchen nahm einen dicken Kanten Graubrot, hielt es sich vor die Brust und schnitt mit dem Messer eine Scheibe ab. Die Scheibe lag auf der Messerschneide und sie hielt sie ihm hin.
»Warum willst du abtauchen? Was ist passiert?«, fragte Otto.
»Wo soll ich anfangen? Jedenfalls suchen sie mich wegen Sabotage. Und einer vom Werkschutz hat mich so zugerichtet.«
»Deine Nase ist gebrochen, stimmt’s?«
»Ich glaube schon.«
»Einstecken kannst du also. Kannst du auch austeilen?«
»Verlass dich drauf.«
»Was kannst du sonst noch? Hast du einen Beruf? Ein Steckenpferd vielleicht? Etwas, was uns weiterhelfen könnte?«
»Ich bin Schlosser. Also eigentlich Lehrling. Will mal Werkzeugmacher werden.«
»Später, Bastian. Später kannst du werden, was du willst. Erst müssen wir aus diesem Krieg raus.«
»Komisch. Das habe ich heute schon mal gehört.«
»Und?«
»Und dann habe ich eins auf die Nase gekriegt.«
»Kann passieren. Also, Schlosser brauchen wir nicht. Was wir brauchen, sind Einbrecher, Scharfschützen, Bombenleger, Brandstifter.«
»Da kann ich ja gleich zur Wehrmacht.«
Otto lachte. Ein leises, unaufdringliches Lachen. Aber es war ansteckend.
Alle am Tisch lachten. Auch das Mädchen. Nur Bastian nicht.
»Ach, komm schon, Otto«, sagte sie, »der Junge scheint in Ordnung zu sein.« Sie wuselte mit der Hand durch sein Haar. Bastian zog den Kopf ein.
»Wir verstehen uns, nicht wahr, Bastian? Die Papiere für diesen jüdischen Jungen, die Flugblattsache, eure Aktion im Hauptbahnhof – das alles hat uns viel Freude bereitet. Es ist doch auch schon viel erreicht, wenn wir die Nazibande mal eine Zeit lang beschäftigen.« Otto überlegte: »Ralle ist davon überzeugt, dass du zu uns passt. Auf Ralle kann ich mich verlassen. Auf dich auch?«
»Das kannst du.«
»Mal sehen«, sagte Otto und spielte mit einem Ring, den er sich vom Finger gezogen hatte. Bastian kannte diese Art Ringe. Verlobungsringe, Eheringe. Mattes Gold. Seine Eltern hatten nie einen getragen, und er hatte sich oft gefragt, warum. Oma trug zwei. Auf dem gleichen Finger. Ottos Ring sah abgeschabt aus. Er hielt ihn zwischen drei Fingern, versetzte ihn in eine kreiselnde Drehbewegung und dann tanzte er über die Tischplatte.
»Ich versuche herauszufinden, ob du für uns nützlich sein kannst. Leute, die bloß bei mir unterkriechen, habe ich genug.« Otto stoppte den Ring mit der flachen Hand.
Bastian hatte nicht übel Lust, einfach aufzustehen und zu gehen.
»Die entscheidende Frage ist, hast du noch genug Wut?«
»Jede Menge.« Bastian versuchte ein Grinsen. Er hatte keine Ahnung, wohin das führen sollte.
»Wir ziehen um«, sagte Otto. »Hier wird es zu heiß. Vor ein paar Wochen hatten wir es nur mit den HJ -Streifen zu tun. Jetzt haben sie Einsatzkommandos in der Stadt. SS. Langsam beginnen sie, uns ernst zu nehmen.« Otto zog das
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