Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
unbeobachtet von hinten in Pauls Kammer zu gelangen. Es war keiner da. Er kletterte auf den Heuboden und schloss die Dachluke. Einen Moment Ruhe wollte er sich gönnen, einen Moment nur, und er grub sich ins Heu.
Er schloss die Augen – bis ihn ein Geräusch aufschreckte. Vorsichtig öffnete er die Luke einen kleinen Spalt und beobachtete Franzi, die mit ruhigen Handgriffen Ordnung schaffte. Sie summte leise vor sich hin, lächelte und sah glücklich aus. Wenn Bastian jemandem Glück gönnte, dann war es Franzi, trotzdem spürte er einen leichten Stich in der Herzgegend. Er war nicht eifersüchtig. Er fragte sich nur manchmal, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn es keinen Krieg und keine Nazis gegeben hätte. Und wenn Paul nicht aufgetaucht wäre.
»Psst«, machte er leise und Franzi schaute sich erschrocken um.
»Psst, hier oben«, flüsterte er noch einmal und musste ein wenig über Franzis bestürztes Gesicht lachen.
»Bastian! Was machst du denn da oben? Und wie siehst du aus?«
Er kletterte hinab in die Kammer. »Das Übliche. Ist eine etwas längere Geschichte. Ich erzähl sie dir irgendwann. Vor allem wollte ich euch Bescheid geben, dass ich untertauchen muss. Ich hatte gehofft, Ralle hier zu treffen.«
»Ralle? Der war schon seit drei Tagen nicht hier, aber du könntest ihn vielleicht am Sarglager treffen. Da kommt er immer wieder hin. Weiß ich von Paul. Der ist mit Werner und Lagusch auf den Feldern. Ich könnte dich mit dem Fuhrwerk hinbringen. Hab sowieso noch etwas auszuliefern. Außerdem siehst du nicht so aus, als wärst du im Moment gut zu Fuß.«
»Geht so«, entgegnete Bastian und nahm Franzis Angebot dankend an. Gemeinsam spannten sie Hennes vor das Fuhrwerk, und bevor sie sich auf den Kutschbock setzten, reichte Franzi Bastian den Militärmantel von Paul und eine Kappe.
»Hier, zieh das an und schlag den Kragen hoch.«
Bastian erzählte Franzi die ganze Geschichte von den manipulierten Lkws und von Jupp Jablonski, den sie erwischt hatten. »Weißt du, das war endlich mal etwas Großes gegen diese Dreckschweine. Und egal, was jetzt passiert, ich werde nicht aufhören. Es ist für mich der einzige Weg.«
Franzi hatte die Stirn in Falten gelegt, als würde sie angestrengt über etwas nachdenken.
»Ich habe dich gerade eine Weile beobachtet, als du Pauls Kammer aufgeräumt hast. Du hast glücklich ausgesehen. Bist du es?«
»Was fällt dir denn ein, mich heimlich zu beobachten!« Franzi sah ihn wütend an. »Und ja. Ich bin glücklich. So lange, wie es dauert.«
»Was meinst du damit? Meinst du, Paul haut irgendwann ab?«
»Er hat schließlich schon mal ein Pferd verlassen«, sagte Franzi und grinste. »Aber nein, das mein ich nicht. Sieh dich doch mal um: Weißt du, ob du heute Abend noch lebst? Ob sie dir nicht dein Leben wegbomben, oder Pauls, oder meins? Oder ob sie uns erwischen und einlochen, so wie Billi? Ich genieße einfach jede Minute, jede Sekunde mit Paul – solange wir uns haben.«
Eine Zeit lang saßen sie schweigend nebeneinander und Bastian heftete seinen Blick auf Hennes’ Hinterteil.
»Und bevor du weiterfragst«, sagte Franzi, »ich kann es nur so aushalten. Sobald ich darüber nachdenke, wie es wäre, wenn er nicht mehr heimkommen würde, drehe ich durch. Also lass ich das.«
Sie lenkte das Fuhrwerk auf das Friedhofsgelände. »Wir sind da. Wenn ich Ralle sehe, sag ich ihm, dass du hier wartest.« Und sie berührte seinen Arm. »Bastian, pass gut auf dich auf. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.«
Bastian zog den Mantel aus und warf ihn auf den Wagen. »Grüß Paul von mir, die Kappe behalt ich noch eine Weile. Ich weiß nicht, was wird. Aber sicher werde ich ab und zu hier am Sarglager auftauchen. In die Gärtnerei komme ich nicht mehr. Das ist zu gefährlich – auch für euch.« Er strich Hennes über den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr: »Mach’s gut, Kumpel. Pass mir auf Franzi und Paul auf – und lass dich nicht abknallen ...«
Bastian sah Franzi so lange nach, bis sie mit dem Fuhrwerk aus seinem Blickfeld verschwunden war. Erst dann suchte er den Schlüssel unter der Regentonne.
RALLE
KLOPFTE
BASTIAN auf die Schulter. Bis gleich, hieß das. Dann ließ er ihn mit Otto allein. Das Raubvogelgesicht zeigte keine Regung. Auf eine unbestimmte Weise mochte Bastian Otto doch. Und er fürchtete sich vor ihm. Gleichzeitig. Denn alles, was Otto betraf, war wie eine dunkle Wolke aus tausend Geheimnissen.
»Hast du was abgekriegt,
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