Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
Verkehr. Die Passanten. Sogar die Geräusche.
Was blieb, waren die zerstörten Giebel, die leeren Fensterhöhlen und die abgedeckten Dächer. Eine Mondlandschaft aus grotesk ineinandergewürfelten Mauerresten, eigenwillig verbogenem Stahlgestrüpp und seltsam zusammengebombten Treppenhäusern und Kaminen, dazwischen rußig verbrannte Hauswände mit riesigen Löchern. Manchmal war nichts zu sehen. Nur der Himmel. Da stand dann überhaupt nichts mehr, lagen nur Trümmer platt auf dem Boden oder gähnten Trichter. Und dazwischen, er wollte es kaum glauben, eine Gardine im leeren Fenster, die im Winde wehte, als würde gerade gelüftet, sogar eine Grünpflanze auf dem Fensterbrett, gespannte Wäscheleinen und flatternde Wäschestücke. Über allem lag der penetrante Geruch von Verbranntem und Verwesendem.
»Tja«, sagte Jablonski, der ihm zugesehen hatte und seinem Blick gefolgt war, »da kann man nur staunen. Was meinst du? Haben die Tommys es aufgegeben? Kaputt genug ist es ja, unser schönes Köln. Oder kommt da bald wieder so eine heftige Geschichte wie an Peter-und-Paul? Es ist seit Tagen ruhig, zu ruhig. Das ist schon verdächtig.«
Meine Güte, dachte Bastian, Peter-und-Paul. Wie lange war das her? Acht oder neun Monate? Dabei könnte es gestern gewesen sein. Er hatte überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Die Dinge passierten.
Jablonski erwartete keine Antwort.
Stattdessen fragte Bastian: »Wie machen wir es, Jupp? Ich meine, gleich, beim Verladen?«
Jablonski rückte näher an ihn heran. »Lass mich mal machen. Wir haben Zeit. Wenn es günstig ist, gebe ich dir Zeichen. Sieh zu, dass du dann weit weg bist von mir. Aber auch nicht zu weit. Du musst aufpassen, Zeichen geben, damit mich niemand überrascht, wenn ich kurz unter der Plane verschwinde.«
Bastian nickte.
»Wenn was schiefläuft, nimmst du die Beine in die Hand und haust ab. Lauf, was du kannst und solange du kannst.« Er blickte auf.
Es wurde plötzlich dunkel. Sie fuhren in eine Halle. Die Lichtbänder an den Seiten wirkten im Vergleich zum Tageslicht wie ein schattenloses Halbdunkel.
»Und du? Wo bleibst du dann?«, fragte Bastian. Aber Jablonski hörte das wohl nicht.
»Da sind wir«, sagte er. »Dann wollen wir mal.«
Sie stiegen vom Lkw und Bastian sah sich um. Männer vom Werkschutz, drei Eisenbahner, zwei von der Wehrmacht, ein Werksmeister, Werksmonteure.
Jablonski stieß ihn an. »Das ist nur heute so. Ich meine diese volle Besetzung. Am zweiten Tag nehmen die das nicht mehr so genau. Dann wird es ruhiger«, raunte er ihm zu.
Der erste und auch der zweite Tag verliefen so, wie Jablonski gesagt hatte. Sie rumpelten durch die Stadt. In der Halle stand der Zug an der Rampe. Die Stirnklappen der Waggons waren heruntergeklappt, sodass eine einzige befahrbare Fläche entstand. Der Werksmeister und die Monteure fummelten eine Weile an jedem Lkw herum. Sie nannten das Endabnahme. Kisten wurden aufgeladen. Die Wehrmacht unterschrieb die Ladepapiere und der Werkschutz schob Wache. Jablonski manövrierte die Lkws auf die Güterwagen, Bastian legte die Kettengeschirre an und sie zurrten jeden Laster fest. Dann warfen sie Planen darüber und verschnürten alles. Sie arbeiteten präzise.
Am Abend wurden sie zum Werk zurückgefahren. Auf der Venloer Straße sprangen sie vom Lkw, winkten dem Werkschutzmann im Führerhaus zu und zogen in eine der Kneipen.
»Prost«, sagte Jupp und nippte am Glas. »Ich bin zufrieden.«
»Du meinst ...?« Bastian sah ihn fragend an.
»Na klar«, sagte Jablonski breit grinsend. »Also wenn du nichts gemerkt hast, dann haben wir ganze Arbeit geleistet.«
Bastian fluchte in den eiskalten Samstagmorgen hinein. Er hatte verschlafen und sich wie wild auf dem Fahrrad abgestrampelt, um doch noch pünktlich zum Schichtbeginn im Werk zu sein.
Er war jetzt wieder im Osteinsatz. Jupp Jablonski hatte nicht viel Aufhebens darum gemacht. Er wollte sogar unbedingt zurück. Zwei Wochen lang hatte er keine Kisten in den Rhein schmeißen können. Und er behauptete, dieses kleine morgendliche Ritual würde ihm fehlen. »Weißt du«, sagte er oft genug, »wenn jeder täte, was er könnte, dann hätten die braunen Brüder bald ausgedient. Aber bei nur wenigen kleinen Taten dauert es eben länger.«
Bastian hatte gehofft, ins Werk zurückkehren zu können. Vielleicht sogar in die Fertigung. Zurück auch zu den normalen Schichten. In die Wärme. In die Nähe der Kantine.
Im Juli sollte außerdem die Prüfung sein, und er wusste beim
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