Wir toeten nicht jeden
erinnern. Auch deshalb heißt sie für mich »Taschenrechner«, denn von der Kapazität der Speicherkarte hängt ab, wie oft man schießen kann.
Als ich die beiden Waffen in meinem Zelt unter der aufblasbaren Matratze verstecke, wird mir bewusst, dass die Kinder nicht mehr streiten. Leti muss gewonnen haben, denn ich höre durch die Zeltwand, wie sie ihrem Bruder nun gnadenlos befiehlt:
»Du ziehst dich aus, Kleiner, und das ohne Widerrede! Es reicht schon, wenn dieses verklemmte Landei von Papa den ganzen Monat im Jogginganzug verbringt.«
Seufzend stopfe ich den Jogginganzug, in den ich tatsächlich gerade schlüpfen wollte, zurück in meine Reisetasche und überlege. Vielleicht wäre ein Handtuch um die Hüfte ja ein guter Kompromiss … Nein, es hilft alles nichts, ich muss mich ebenfalls hüllenlos präsentieren, mir bleibt gar nichts anderes übrig, sonst ist es meiner Tochter unerklärlich, warum ich für unsere gemeinsamen Ferien einen FKK-Campingplatz ausgesucht habe.
Zumal es noch einen weitaus triftigeren Grund gibt, die Verhaltensregeln genau zu befolgen: Man darf nie die Aufmerksamkeit der anderen erregen, hatte die frühere Nummer Drei mir gleich zu Anfang eingeschärft, tu immer genau das, was die anderen tun, damit sich später bei den Befragungen der Polizei niemand mehr an irgendetwas Auffälliges erinnern kann.
Die rhythmischen Geräusche aus dem Nachbarzelt haben inzwischen ebenfalls aufgehört. Nur noch ein unverständliches Gemurmel ist zu hören, dessen Inhalt am Tonfall zu erraten ist: Das naturverbundene Liebespaar fragt sich offenbar kichernd, ob es zu laut war. Kurz gebe ich der Verlockung nach – sie überkommt einen immer, wenn man weiß, dass man eigentlich gar keine Zeit dafür hat –, strecke mich auf meiner Luftmatratze aus und stelle mir das blonde Mädchen aus dem Restaurant vor, sie ist nackt … und ihr Pferdeschwanz wippt auf und ab, wenn …
Ich hole tief Luft. Das hat mir gerade noch gefehlt: Ich mache Urlaub mit meinen Kindern auf einem FKK-Camping und bekomme eine Erektion nach der anderen wie ein Student. Und obendrein weiß ich nicht, ob ich bald meine Ex umbringen soll oder diesmal selbst der »Kunde« bin.
Entschlossen krieche ich zum Ausgang, wo ich sehe, wie am Nachbarzelt langsam der Reißverschluss hochgezogen wird.
Ihre Wangen sind vor Erregung noch leicht gerötet. Sie ist nackt und hat ein Handtuch in der Hand. Hinter ihr, wie um die Vertrautheit während des Liebesspiels in die Länge zu ziehen, hat ihr Lover ihr offenbar gerade noch den Hintern geküsst oder sanft hineingebissen. Das verrät sein Blick.
In meinem ganzen Leben habe ich nur drei Männer wirklich bewundert.
Der eine war Tony, dessen offen eingestandene Feigheit ich bewunderte, aber auch dessen Mut: Obwohl er wusste, dass er verlieren würde, schlug er immer als Erster zu. Und zudem konnte er so dreckig grinsen wie ein waschechter Pirat.
Der zweite Mann war die frühere Nummer Drei, obwohl er ein wahrer Hurenbock und Schluckspecht war. Er war einfach der Beste in unserem Metier, das er sogar mit einem romantischen Nimbus zu umgeben wusste. Außerdem war er ein Perfektionist gewesen und hatte mich als sein Werk und seinen legitimen Erben betrachtet. Sogar als ich ihn umbrachte, betrachtete er mich in seinen letzten Momenten noch voller Stolz. Bedauerlicherweise erhielt meine Bewunderung einen Knacks, weil er sich von mir hatte überrumpeln lassen.
Fehlt noch der dritte Mann, den ich glühend bewundere und dessen Werdegang ich seit Jahren nicht ganz neidlos verfolge, weil ich immer wieder denke, dass ich auch so hätte werden können wie er: Und das ist Gaspar Beltrán, ein junger, furchtloser Jurist, der sich im Sumpf von illegalem Drogenhandel, Terrorismus und politischer Korruption so weit vorgewagt hat wie keiner vor ihm. Nichts und niemand entgeht der hartnäckigen Verfolgung dieses unbestechlichen Richters.
Zigmal habe ich ihn schon in der Zeitung und im Fernsehen gesehen und einmal sogar leibhaftig aus zehn Metern Entfernung, als ich auf einen Zeugen in einem seiner Waffenschmuggel-Prozesse angesetzt war.
Aber ich hätte nie gedacht, dass ich ihn hier treffen würde: Mit einem Lächeln auf den Lippen kriecht er splitterfasernackt aus dem Nachbarzelt.
Hinter der Frau her, der er soeben einen Kuss auf den Hintern gedrückt hat.
Meine Ex.
06
Leticia Menéndez-Brown, Exfrau von Juanito Pérez Pérez, die immer nur die exklusivsten Privatschulen von Madrid besucht hat
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