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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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einem verständnisvollen Lächeln, verzeiht mir so meine Unaufmerksamkeit und auch die Ausbuchtung in meiner kurzen Hose, die sie mit einem flüchtigen Blick taxiert hat. Noch nie ist meine Konzentration so schlecht und mein männlicher Stolz so groß gewesen. Zum Glück hat sie im Gehen noch etwas gesagt, das sich für mich angehört hat wie ein »Wir sehen uns«. Vielleicht haben mir das aber auch nur ihre Augen zu verstehen gegeben …
    Antoñito reißt mich aus meinen Gedanken. Er will noch mehr Marmelade haben. Und Leti stöhnt, ich sei so lahm wie eine Ente, so würde ich nie zu einer Freundin kommen.
    Nach dem Frühstück baue ich unsere Zelte auf. Die einfache, mechanische Tätigkeit ist irgendwie beruhigend, sodass ich mich schon fast ausschließlich wie ein geschiedener Vater fühle, der die Sommerferien mit seinen Kindern verbringt. Die meisten der Camper liegen noch im Tiefschlaf, nur bei einigen zeigen sich bereits die Auswirkungen eines naturverbundenen, textilfreien Lebens. So wie in unserem großen Nachbarzelt zum Beispiel. Geflüster, lustvolles Lachen, gedämpftes Stöhnen, das kaum merkliche Erbeben des Gestänges: Ein sicherlich junges, kinderloses und frischverliebtes Pärchen beim frühmorgendlichen Liebesakt.
    Ihre Leidenschaft macht mich wegen der Kinder ein wenig verlegen, aber Antoñito ist sich noch nicht bewusst, was da passiert. Bei Leti hingegen bin ich mir da nicht so sicher, denn ich ertappe sie dabei, wie sie immer wieder verstohlen hinüberschielt und schließlich kaum merklich nickt, als ordne sie ein theoretisches Wissen der entsprechenden Kategorie in der Praxis zu. Genau wie ihre Mutter denkt meine Tochter nämlich in Schubladen. Seufzend bedeutet sie mir dann mit ihrem Kinn, dass sie sich um den Kleinen kümmert. Sie bugsiert Antoñito in ihr Zelt und unterzieht ihn der leidigen Tortur, ihm zu erklären, wer von ihnen wo schlafen wird.
    Das nutze ich für einen Blick in den Kofferraum meines Wagens. Der Campingplatz ist riesig, und sobald ich kann, muss ich Leticias Auto suchen. Vorsichtshalber sehe ich mich noch einmal um, bevor ich den Musterkoffer öffne.
    Die ganze Palette an Mordinstrumenten bietet sich meinen Augen dar. Ich nehme das Handy heraus, in dessen Gehäuse ein Springmesser verborgen ist. Ich habe es bisher nur einmal benutzt, es ist wirklich solide. Sie wissen echt nicht mehr, was sie noch erfinden sollen: Ich muss bloß die SIM-Karte von Juanitos Handy einlegen, schon kann ich mich mit jemanden in der Ferne unterhalten und gleichzeitig mein Gegenüber ermorden.
    Die Diskussion der Kinder nimmt an Lautstärke zu. Wahrscheinlich habe ich Letis Intuition überschätzt, als ich dachte, sie wolle ihren Bruder und mich vom Liebesakt der Nachbarn ablenken. Womöglich habe ich aber auch meinen Sohn unterschätzt, der sich dem Diktat seiner Schwester nicht beugen will. Super, Antoñito, mach weiter so! Wenn du groß bist, musst du so vielleicht keine zwei parallelen Leben führen, die beide eine große Lüge sind.
    Halt, stopp, was ist los mit mir, wieso denke ich so, seit wann bin ich in meinen Selbstgesprächen so verbittert?
    Ich habe nie gern getötet.
    Aber auch nicht ungern.
    Es war einfach mein Job.
    Es ist mein Job.
    Und dieses Mal muss ich besonders auf Zack sein, denn es geht um mehr als einen erfolgreich ausgeführten Auftrag: Dieses Mal steht Leticias Leben auf dem Spiel.
    Vielleicht sogar mein eigenes.
    Oder das unserer Kinder.
    Dieser Gedanke lässt mich einen Entschluss fassen, und ich nehme den »Taschenrechner« aus dem Musterkoffer. Ich nenne ihn so, weil das flache Etui der mit winzigen Pfeilen geladenen Luftpistole eine ähnliche Form hat. Auf den Flughäfen löst er keinen Alarm aus, das habe ich ausprobiert, keine Ahnung, aus welchem Material er ist. Was für mich ungewöhnlich ist: Früher hätte ich alles über diese Waffe herausfinden wollen, die exklusivste der FIRMA und nur ihren allerbesten Leuten vorbehalten. Ich bezweifle, dass dieser blutrünstige Rambo von Nummer Dreizehn sie in seiner Kollektion hat. Als Nummer Zwei sie mir vor ein paar Monaten zukommen ließ, schärfte er mir jedenfalls ein, keinem meiner Kollegen davon zu erzählen, sollten wir einmal einen gemeinsamen Einsatz haben. Ich verstehe nicht ganz, wie die Waffe funktioniert, aber ich kenne ihre exakte Reichweite und die Treffsicherheit der Zwergpfeile, die schon beim bloßen Hautkontakt tödlich sind und in flachen Kartuschen stecken, die an eine digitale Speicherkarte

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