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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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habe ich mich eigentlich nicht zu fragen getraut, wer die Zielscheibe ist?
    Egal, ich kriege es auch so raus. Dafür bin ich schließlich auch ausgebildet worden.
    Dass sie mir eine Erfolgsprämie für nichts und wieder nichts zahlen wollen, ist allerdings höchst seltsam.
    Nummer Zwei zahlt gut, doch nie einen Cent zu viel.
    Er schenkt einem nichts, einfach so.
    Vor drei Jahren wurde zu Weihnachten ein Geschenkkorb mit einer Karte in meinem Büro abgegeben, die mit seiner Nummer unterschrieben war. Als ich der damaligen Nummer Drei davon erzählte, lachte er laut auf und warnte mich davor, das Präsent mit nach Hause zu nehmen. In den Sektflaschen war Nitroglyzerin, im turrón TNT, in den polvorones Splitterpatronen, und die Flasche mit dem zwölf Jahre alten Whisky enthielt Säure, mit der man das Sicherheitssystem eines ganzen Gebäudes deaktivieren konnte. Unter den Pralinen fand ich schließlich die Fotos des »Kunden«, dem ich an Silvester das Lebenslicht ausblasen sollte – Leticia rastete damals fast aus, weil ich das Familienessen mit ihrem Vater im Hotel Ritz absagte.
    »Und was wäre gewesen, wenn ich aus Versehen was davon getrunken oder gegessen hätte?«, hatte ich meinen Mentor damals gefragt.
    »Dann hätte er es dir noch vom Lohn abgezogen.«
    Doch zurück zu den Fakten.
    Ich weiß nicht, ob es an der Freikörperkultur, dem Bourbon oder meinen Toten liegt (fünfzehn, Juan, es sind fünfzehn, zähl die frühere Nummer Drei endlich mit), aber allmählich werde ich paranoid.
    Dabei habe ich die FIRMA doch noch nie enttäuscht und bin einer ihrer besten Männer!
    Und ich weiß zu wenig, um ihnen gefährlich zu werden. Ich weiß fast nichts!
    Und deshalb schaffe ich jetzt vollendete Tatsachen und denke an Yolanda, worüber ich alles andere vergessen kann und mir nur noch wünsche, dass es schnell dunkel wird und das, was geschehen muss, erst morgen passiert.
    Ich trinke mein Glas leer, schlage mein Buch auf und beginne zu lesen. Jeder, der mich so sieht, muss mich für einen ganz gewöhnlichen Camper halten, der Urlaub auf einem schicken FKK-Campingplatz macht. Und genau so fühle ich mich jetzt auch. Ich sehe mich richtiggehend vor mir, wie auf einem Foto, im Hintergrund ein grünes Wäldchen, völlig entspannt.
    Wie auf einem Foto.
    So habe ich schon viele Leute gesehen.
    Auf einem Foto.
    Durch das Visier eines Gewehrs.
    Eine Sekunde später waren sie tot.
     

09
     
    Die FKK-Willkommensparty ist ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Obwohl … eigentlich weiß ich gar nicht, was genau ich erwartet habe. Yolanda zu sehen natürlich – die ich allerdings nirgends entdecken kann.
    Ihr Chef macht gerade diejenigen Gäste, die sich nicht bereits von früheren Aufenthalten kennen, voller Eifer miteinander bekannt. Zwar glaubt er, man würde es nicht merken, aber er ist eindeutig vom anderen Ufer, so überspannt, wie er sich gibt.
    Ich hole mir einen Drink. Yolanda lässt immer noch auf sich warten.
    Also sehe ich mir die Leute an. So, als sähe ich einen Film im Kino. Das tue ich gern. Noch so eine Berufskrankheit.
    Schon bald kann ich die selbstsicheren Stammgäste von den nervösen Neulingen unterscheiden. Allein aufgrund ihrer Kleidung.
    Während die alten Hasen bequeme, leichte Kleidung tragen, viel weißes Leinen bei den Herren und locker fallende Kleider bei den Damen, lassen sich die Greenhorns in zwei Gruppen aufteilen: diejenigen, die wussten, dass es zu Saisonbeginn eine Begrüßungsparty geben würde, und diejenigen, die damit überhaupt nicht gerechnet hatten.
    Ich weiß nicht, über welche Gruppe ich mehr schmunzeln muss.
    Diejenigen, die vorbereitet waren, sahen nackt fast besser aus. Die Männer scheinen allesamt zu glauben, genau die goldene Mitte zwischen legerer und doch von Geschmack zeugender Kleidung getroffen zu haben – dabei unterscheiden sich ihre Polohemden nur durch das sattsam bekannte Krokodil, den Polospieler oder ein anderes Logo, das den astronomischen Preis des Kleidungsstücks verrät. Es gibt sogar einige, die einen Anzug tragen, und vermutlich steckt die dazugehörige Krawatte in der Hosentasche, für alle Fälle. Und auch bei den Damen hat das Lampenfieber Unheil gestiftet: Überraschenderweise sieht man dieselben Frauen, die den Nachmittag über nackt und in hochhackigen Sandaletten über den Campingplatz gestöckelt sind, auf einmal im Cocktailkleid – mit denselben Sandaletten, wie ich mal annehme.
    Bei der anderen Gruppe von Neulingen, denjenigen, die

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