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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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erbärmlicher Landarzt geworden wäre; sie hatte nämlich immer davon geträumt, dass aus mir ein richtig berühmter Arzt würde. So berühmt, dass ich ihren Vater in den Schatten stellte.
    So zogen die Wochen, Monate und Jahre ins Land. Bis mich die frühere Nummer Drei eines Tages für einsatzbereit hielt.
    An einem Dienstagabend erledigte ich meinen ersten Auftrag. Der dickschädelige Geschäftsmann mit dem knallroten Gesicht besaß mehrere Fabriken und betrieb unter fremdem Namen eine Kette zweifelhafter Nachtclubs, in denen traurige Nutten ihre Dienste anboten.
    Er war auf dem Parkplatz gerade in seinen tollen Schlitten gestiegen, als mein Wagen direkt neben seinem hielt. Mein Lächeln entwaffnete ihn. Höchstwahrscheinlich verwechselte er mich mit einem seiner tüchtigen Angestellten.
    »Verlassen Sie uns schon?«, fragte ich höflich.
    »Sehen Sie das nicht, Sie Dummkopf?«, blaffte er zurück – und hatte in der nächsten Sekunde ein Loch in der Stirn und gleich darauf noch ein zweites, das mit dem ersten fast eine Schnittmenge bildete.
    »Jetzt sehe ich’s«, sagte ich zur alten Nummer Drei, die neben mir auf dem Beifahrersitz applaudierte und mir dann zufrieden die Hand schüttelte.
    Eine halbe Stunde später war ich zu Hause und zündete die Kerzen auf Letis Torte an. Es war ihr siebter Geburtstag.
    Unter dem Vorwand, mit ein paar Leuten verabredet zu sein, verabschiede ich mich von meinem alten Freund.
    »Mit einer Frau, nehme ich an«, sagt Tony und grinst verständnisvoll. »Nur eine Frau kann einen zu so einem FKK-Urlaub überreden. Warum sonst laufe ich hier halb nackt rum, wo es doch so viele Luxushotels gibt? Aber Sofía war nicht davon abzubringen und …«
    Schnell verspreche ich ihm, später wieder vorbeizuschauen, und zische ab, bevor der gefühlskalte Engel zurück ist, der im Bett womöglich heißer ist als jedes Feuer. Damit Tony nicht ahnt, in welche Richtung unsere Zelte stehen, mache ich einen kleinen Schlenker durch das Wäldchen, aber eigentlich ist diese Vorsichtsmaßnahme sinnlos: So groß ist der Campingplatz auch wieder nicht, irgendwann werden wir uns zwangsläufig über den Weg laufen.
    Es ist eben schwierig, Angewohnheiten abzulegen, die man sich von Berufs wegen einmal antrainiert hat. Zumindest nutze ich den Umweg zum Nachdenken.
    Alles deutet darauf hin, dass Leticia und die Kinder nicht die Zielscheibe sind.
    Also geht es um den Richter.
    Oder um Tony.
    Sollte Gaspar Beltrán das Zielobjekt sein, werde ich nicht eingreifen. Sosehr ich ihn auch bewundere.
    Aber ich werde nicht zulassen, dass sie Tony etwas antun.
    Ich werde ihm helfen. Und diesmal wird alles gut gehen.
    Es ist das dritte Mal, dass mein Freund in Gefahr ist.
    Und aller guten Dinge sind drei, besagt das allbekannte Sprichwort.
     

08
     
    Ich hatte völlig vergessen, was für einen Medusenblick Leticia manchmal haben kann. Folglich erstarre ich zu Stein, als ich zu unseren Zelten komme, wo sie, der Richter und die Kinder einen auf perfekte Familie machen, nur dass sie dafür wenig Kleider anhaben. Besser gesagt: gar keine Kleider. Beltrán trägt inzwischen nämlich auch kein Handtuch mehr um die Hüfte. So ist es unvermeidlich, Größe, Länge und Aussehen zu vergleichen. Das tun alle Männer, selbst schon die kleinen Jungs, auch wenn Antoñito dabei rot wird und ich insgeheim froh bin über die wiedererlangte Spannung, da ich vorhin von Weitem Yolanda in Richtung Restaurant laufen sah. In diesem Wettstreit bin ich Beltrán jedenfalls überlegen, nicht um viel, aber immerhin – und ich bin so dumm, mir etwas darauf einzubilden.
    Meine Tochter ist allerdings schon reifer, als ich dachte, und ähnelt ihrer Mutter mehr als befürchtet.
    »Aber er ist ein berühmter Richter, Papi«, flüstert sie mir ins Ohr. während Beltrán Bierdosen holen geht, um das Eis zu brechen.
    Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir angezogen im Restaurant verkrampfter sind als eine halbe Stunde zuvor nackt vor unseren Zelten. Beltrán hat darauf bestanden, dass wir zusammen zu Mittag essen, wogegen Leticia nichts einwenden konnte, weil sie sich noch unschlüssig ist, was sie von dieser unfreiwilligen Familienzusammenführung halten soll.
    Als Yolanda mit einem Tablett vorbeikommt, grüßt sie so unbefangen, dass meine Hormone in Aufruhr geraten. Was natürlich alle merken. Antoñito flüstert seiner Schwester zu, dass sein Papa letztlich doch nicht so langsam ist, wie du immer sagst , und ihre Mutter verschluckt

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