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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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Einsicht, dass ich sie nie erreichen werde. Das klingt mir zwar sehr nach Koketterie, aber letztlich hat jeder seine kleinen Schwächen. Sogar in meinem Beruf klopft man sich für einen gut ausgeführten Job insgeheim auf die Schulter oder lacht sich ins Fäustchen, wenn ein Kollege einen Patzer macht.
    Er schreibe unter Pseudonym, fährt Camilleri dann fort, in einer Anwandlung von Boshaftigkeit frage ich ihn jedoch nicht, welches er gewählt hat. Einen Moment lang bin ich auch abgelenkt, denn wir haben eine kleine Anhöhe erklommen, auf deren anderen Seite ein Dutzend Hütten L-förmig aneinandergereiht sind. Sie wirken nicht ganz so komfortabel wie die Bungalows, die Gäste mieten können, wenn sie nicht in Zelten oder Wohnwagen schlafen wollen. Am Nachmittag wären wir sogar beinahe in einen davon gezogen: Launenhaft wie ihre Mutter, schimpfte Leti mich einen Geizkragen, als sie sie entdeckt hatte: Die Häuschen am Strand haben sogar Fernsehen und einen DVD-Player, Papi . Dabei war sie es gewesen, die unbedingt zelten wollte!
    Die Hütten hinter der Anhöhe dienen dem Campingpersonal als Unterkunft – in einer wohnt sicher Yolanda, vielleicht ja in der am kurzen Ende des L, der einzigen, in der Licht brennt und im Fenster eine weibliche Silhouette zu erkennen ist.
    Sie ist nackt. Und obwohl das auf einem FKK-Campingplatz eigentlich keine besondere Aufmerksamkeit erregen sollte, hat Camilleri sie nun ebenfalls entdeckt und verstummt andächtig, so, als stehe er plötzlich vor einem Gemälde. Im selben Moment kommt die Silhouette eines athletisch gebauten Mannes ins Bild, der natürlich ebenfalls nackt ist. Ganz langsam nähert er sich ihr, es dauert eine Ewigkeit, und auf einmal bin ich sicher, dass es Yolanda ist. Und dass es mir weh tut. Sogar sehr – was für mich eigentlich völlig irrsinnig ist. Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass die männliche Gestalt stehen bleibt, und glaube mich schon am Ziel, als er sich plötzlich auf sie stürzt und die beiden mit wilder Leidenschaft übereinander herfallen, miteinander verschmelzen wie zwei chinesische Schattenbilder. Ich kämpfe gegen die Wut an und den Schmerz, ich habe kein Recht dazu, aber nachdem ich meine Gefühle ein Leben lang unterdrücken konnte, scheinen sie seit Beginn der Reise in Aufruhr geraten zu sein. Vielleicht ist es von Berufs wegen, vielleicht spielt mir aber auch mein gekränktes Unterbewusstsein einen Streich, jedenfalls bilden die beiden für mich unversehens die perfekte Zielscheibe.
    »Eine perfekte Zielscheibe«, murmelt Camilleri im gleichen Augenblick, als könne er meine Gedanken lesen.
    »Wie bitte?!«
    »Die beiden erinnern mich an den Anfang eines meiner Romane: Die Szene beginnt mit Einbruch der Dunkelheit. Ein Liebespaar liebt sich an einem offenen Fenster. Die Gardinen vorgezogen, sodass man ihre Züge nicht erkennen kann, aber das Licht im Zimmer verrät, was drinnen vor sich geht. Auf einmal zielt jemand mit einem Gewehr auf sie, von einer Anhöhe wie dieser, und bringt sie um …«
    »Der Mann von ihr. Oder die Frau von ihm«, sage ich, ohne den Blick vom Fenster lösen zu können, wo der Mann Yolanda nun von hinten packt, sie hochhebt und ihren Körper dann gegen seinen eigenen drückt, als wolle er sie zerbrechen.
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. In einem Roman, aber auch in der Wirklichkeit ist nämlich fast nichts so, wie es zunächst scheint, Juan. Wer sagt Ihnen, dass die beiden sich heimlich treffen und nicht ein frischverheiratetes Pärchen sind, das seinen freien Abend genießt?«
    Ich antworte ihm nicht, weil ich ganz genau weiß, wer sie ist. Und weil ich krampfhaft überlege, wer er sein könnte. So ein Schrank von einem Mann könnte … ein Bodyguard sein! Der Bodyguard eines prominenten Richters, der in ein paar Stunden wieder meine Exfrau besitzen wird. Kurioserweise stört mich der Gedanke daran weniger, als dass Yolanda von einem anderen gevögelt wird. Was ist bloß los mit mir? Ich habe fast mein ganzes Leben damit verbracht, die Gefühle in meinem Herzen zu verschließen, und jetzt, wo ich es unbewusst geöffnet habe, bekomme ich sie offenbar nicht wieder hinter Schloss und Riegel.
    Ich muss wohl eine ganze Weile meinen Gedanken nachgehangen haben, denn als ich mich wieder auf das Fenster konzentriere, sind keine Silhouetten mehr zu sehen, nur eine leichte Brise weht die Gardine noch hin und her. Camilleri hält die Luft an, genau wie ich.
    Keine dreißig Sekunden später öffnet sich die

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