Wir toeten nicht jeden
absolut keine Ahnung hatten, dass man bei so einem Camping-Urlaub wie Debütanten in die verschworene FKK-Gemeinschaft eingeführt wird, rächt sich jetzt der fehlende Weitblick beim Kofferpacken: Sie tragen bunte T-Shirts, Bermudas und Strandkleidchen.
Mit seinem grellbunten Hawaiihemd gehört Tony eindeutig zur letzten Gruppe. Sofía, die eiskalte Sofía, hat sich für ein Kleid entschieden, das fast nichts bedeckt und auch bei einem Botschaftsempfang für großes Aufsehen gesorgt hätte. Vorn reicht das Dekolleté fast bis zur Scham, und hinten kann jeder, der will, den Ansatz ihres Hinterns erspähen. Und viele wollen – selbst ich riskiere einen Blick, als ich meinen alten Freund begrüße. Sofía hat zudem nichts darunter an, und obwohl das hier eigentlich nichts Besonderes sein sollte, macht es sie noch aufregender.
Umsichtig, wie sie ist, hat Leticia hingegen genau das Richtige getroffen, sodass ich mich kurz frage, ob es wirklich das erste Mal ist, dass sie Urlaub auf einem FKK-Campingplatz macht. Sie trägt ein schlichtes Kleid in Zartlila, einer Farbe, die ihr schon immer gut gestanden hat. Sie wirkt darin sehr sexy. Zwar ist meine Ex um einige Jahre älter als Sofía und auf den ersten Blick nicht ganz so spektakulär, auf den zweiten aber schneidet sie wesentlich besser ab. Was mich dummerweise mit einem seltsamen Stolz erfüllt.
Sie und Beltrán würden problemlos als alte Hasen durchgehen. Klug beraten von Leticia, hat der Richter eine helle Hose und ein Leinenhemd für diesen Anlass eingepackt.
Und ich? Nun, die jahrelange Ausbildung hat sich mal wieder ausgezahlt: Zwar ist die Grundausstattung von der zu spielenden Rolle abhängig, aber wie immer bin ich für alle Eventualitäten gerüstet. Deshalb brauchte ich vor der Party nur eine Runde über den Platz zu drehen, um nun in weißer Hose und weißem Hemd nicht aufzufallen.
Yolanda ist immer noch nicht erschienen.
Was sie wohl anhat? Ich schlendere zur Tür, von wo aus ich den Kindern bei ihrem eigenen Fest zuschauen kann. Bis auf die Sprösslinge der Fans von Designermode tragen alle kurze, sommerliche Kleidung, und manche tollen sogar nach wie vor nackt herum, munter wie die Fische im Wasser.
Sind die Fische im Wasser tatsächlich so gut gelaunt und aufgeweckt? Antoñito scheint sich jedenfalls in seinem Element zu fühlen, wie er da pudelnackt herumspringt und dabei johlt wie ein kleiner Pirat. Vielleicht hat er ja die Chance, das Leben zu leben, das ich hinter mir gelassen habe. Oder noch besser: ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Ich werde jedenfalls alles tun, um ihm dabei zu helfen – sollte ich noch einmal mit dem Leben davonkommen.
Als ich mich wieder den Erwachsenen zuwenden will, um zu sehen, ob Yolanda mittlerweile gekommen ist, stoße ich mit Sofía zusammen, die an mir vorbei nach draußen stöckelt, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich sehe ihr nach: Irgendwas an ihr gefällt mir nicht, auch wenn mich ihr Körper und ihre eiskalte Schönheit durchaus locken könnten. Ihr Busen ist ganz sicher nicht echt. Sie hat das Gesicht einer Nutte mit kleinen Brüsten, vor denen mich die frühere Nummer Drei immer so eindringlich gewarnt hat.
Nachdenklich drehe ich mich um, doch statt Yolandas hellblauen Augen begegne ich dem grünen, weisen Blick eines älteren Herrn, den ich an diesem Tag schon ein paarmal gesehen habe. Sein Gesicht strahlt die heitere Gelassenheit eines Menschen aus, der das Leben zu genießen weiß. Mein Vater wäre sicher genauso, wenn er noch leben würde, schießt es mir kurz durch den Sinn, doch leider habe ich nur noch ein unscharfes Foto von ihm und die vage Erinnerung an die müden Kommentare meiner Mutter, die immer von seinem Mangel an Persönlichkeit und seinem schwachen Charakter gesprochen hatte.
»Extravagant, aber effektvoll«, sagt der etwa siebzigjährige Herr und deutet mit dem Kinn in die Richtung, in die Sofía und ihre Attribute verschwunden sind.
»Eine Frage des Geschmacks.«
»Eine Frage des guten Geschmacks, wollen Sie wohl sagen. Ich für meinen Teil finde ja an schönen Frauen nach wie vor großen Gefallen. Und nicht nur an ihrem Gesicht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Leider geht es in meinem Alter inzwischen fast nur noch darum, sie wie ein Gemälde zu bewundern, und nicht mehr um das Vergnügen, selbst den Pinsel zu schwingen …«
Er ist mir augenblicklich sympathisch. Und das passiert mir äußerst selten. Wenn ich jemanden kennenlerne, halte ich normalerweise Distanz,
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