Wir waren nie Freunde
Hunde. Und dann, wenn unsere Blicke sich ineinander vertiefen, dann verblasst der Rest der Welt, dann fliegen die Vögel fort.
Vielleicht fühle nur ich das. Ich folge einem Instinkt, einer Spur, ohne richtig zu wissen, wohin sie führt, ob es nun Vogel oder Fisch ist. Weiß man das denn immer? Und wenn man es weiß, verliert dann nicht das Leben seinen Charme?
So philosophiere ich vor mich hin. Das kommt von dem monotonen Tritt in die Pedale. Es ist, als sperrte man die Umwelt aus und versänke in sich selbst und ins Treten. Ich registriere nur die vorbeiziehende Landschaft, die sich langsam an meiner Seite entlang entrollt. Felder, auf denen das erste Grün wie endlose Bartstoppeln erscheint. Ackergräben, in denen alles Mögliche auftaucht: McDonald's-Verpackungen, leere Zigarettenpäckchen, Stiele blühenden Huflattichs, Kassettenbänder, die trocken im Wind rascheln, benutzte Damenbinden. Langsam wächst um uns der Wald. Kiefern und Tannen und Birken. Ab und zu blinkt ein See zwischen den Baumstämmen. Wir radeln an kleinen roten Katen mit Lattenzaun und dem einen und anderen Bauernhof vorbei. Wir radeln Anhöhen, lang wie Ewigkeiten, hinauf, und rollen sie dann in lebensgefährlich schneller Fahrt wieder hinunter.
Philip entdeckt einen toten Hasen, wir halten an und begutachten ihn.
»Das ist ein Feldhase«, sagt er und holt neben seinem Fahrrad Luft.
Der Hase ist groß. Er sieht fast aus, als schliefe er. »Der muss gerade eben erst überfahren worden sein«, sagt Tove.
»Autofahrer sind Mörder«, erklärt Pia-Maria. »Ich hasse Autos.«
Philip legt sein Rad in den Graben und hockt sich neben PM. Er hebt den Hasen an den Hinterläufen hoch. PM beugt sich über ihr Fahrrad.
»Ist der wirklich tot?«, fragt sie.
»Na logo«, sage ich. »Oder glaubst du, der würde sich nur tot stellen?«
Pia-Maria kniet sich zu dem Hasen hin.
»Oh, wie weich der ist. Wie kann man einem Tier nur so etwas antun«, sagt sie.
Philip dreht den Hasen um, und wir sehen, dass ihm ein Auge fehlt. Pia-Maria steht auf und geht zurück zu ihrem Fahrrad.
»Ein Auge ist ja weg«, sagt sie.
»Das sind die Elstern«, erklärt Philip. »Die hacken immer als Erstes die Augen aus. Das ist das Beste.«
»Wie eklig«, meint Tove.
»Wie kann man einem Tier nur so etwas antun«, wiederholt Pia-Maria.
»Der scheint ansonsten in Ordnung zu sein«, sagt Philip. »Wir nehmen ihn mit.«
Er bindet den Hasen oben auf seinem Gepäck fest, und als wir weiterfahren, verdrehen viele von diesem Mörderpack den Hals in ihren Autos und starren uns an. Sie starren auf Tove mit den schwarzen Ringen unter den Augen, auf Pia-Maria, die ihre Jacke um die Taille gebunden hat, auf mich, der nach links und rechts schaukelt, auf Manny, dessen Glatze vom ersten Sonnenbrand gerötet ist, aber in erster Linie starren sie auf unseren Anführer, auf King Philip, der die kleine Karawane anführt, mit einem toten Hasen oben auf dem Rucksack.
Vielleicht hätte ich bereits da etwas ahnen müssen. Vielleicht war der Hase ein Zeichen.
Der Sinn des Lebens .Der Hase erinnert mich an etwas. An damals, als Philip und Manny in die Stadt gingen und ich sie begleitete, weil Philip es wollte. Philip redete von etwas, ich weiß nicht mehr, wovon, wahrscheinlich von Vögeln. Plötzlich blieb er stehen. Zeigte auf den Bürgersteig. Da lag Hundescheiße von ziemlicher Größe direkt vor dem Eingang des Einkaufszentrums. Dunkelbraun, viele Zentimeter lang, stammte wahrscheinlich von einem größeren Hund, Typ Grand Danois oder Irischer Wolfshund, denn der Haufen fiel wirklich auf, fast wie so ein Straßenstolperstein, von denen es auf den Straßen um unser Reihenhaus herum nur so wimmelt, und die Kristin nie sieht, obwohl sie doch ihr halbes Leben schon dort fährt. Oh verdammt, kann sie ausrufen, die Welt wird doch nicht besser davon, dass mein Auto kaputtgeht!
Aber diesen Haufen hätte sogar Kristin gesehen. Er hatte bereits einige Aufmerksamkeit erregt, obwohl das wohl eher an Philip lag, der davor stand und darauf zeigte. Die Leute guckten auf den Kot und dann auf Philip, als glaubten sie, es wäre seiner.
Und was er dann tat, verstärkte nur noch ihren Verdacht, denn Philip kniete sich neben den Haufen und hob ihn mit bloßen Händen auf.
Ich konnte hören, wie ein Raunen durch die Leute auf dem Bürgersteig ging. Manny lachte dreckig. Philip sah vollkommen unbeeindruckt aus. Er hielt den Hundekot in seiner rechten Hand, schien ihn gegen's Licht zu halten und zu
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