Wir waren nie Freunde
order!«, sagt Jim mit harter Stimme.
»No!«, schreie ich. »No!«
Das Geräusch des Hubschraubers verstummt so jäh, dass ich vor lauter Verwunderung die Augen öffne. Ich schnuppere prüfend. Ist jemand hier? Dann erkenne ich die Witterung. Der Hase erhebt sich mit meinem Körper. Er spitzt die Ohren, hört aber zunächst aufgrund der ohrenbetäubenden Stille nichts. Wieder nehme ich die Witterung auf, um den Duft zu lokalisieren. Ich glaube, da kommt jemand den Berg herauf. Ich denke, dass ich mich verstecken sollte, ich sollte in die Höhle huschen, aber ich schaffe es nicht. Stattdessen ziehe ich mich näher an den Bergkamm. Ich mache einen Buckel, stemme die Füße in den Boden, mache mich bereit. Ich knurre leise. Fletsche mit den Zähnen. Ich bin bereit, mich über denjenigen zu werfen, der über den Bergkamm kommt.
In der Sekunde, in der mir die Augen des Tieres begegnen, erkenne ich sie wieder. Es ist wie eine Bestätigung von etwas, das ich lange geahnt habe, obwohl ich mich nicht mehr erinnern kann, warum.
Das Tier steht still und fixiert mich mit seinem Blick. Ich starre zurück. Sehe den dichten grauen Pelz, die spitzen Ohren, die sich mal mir zuwenden, mal nach hinten drehen. Als wartete es auf etwas. »Es kommen noch mehr«, denke ich. »Das ist ein ganzes Rudel.« Ich spüre, wie mein Herz klopft. Wieder knurre ich und ziehe mich langsam seitwärts zurück, weg von dem Tier. Gegen ein ganzes Rudel habe ich keine Chance. Das Tier merkt, dass ich mich zurückziehen will. Es dreht den Kopf, gibt Laut. Ich höre, wie sein Ruf den Berg hinunterrollt. Dann antwortet ein anderes Tier, ein neuer Ruf klettert den Hügel hinauf und erreicht mich.
»Die Wölfe kommen«, denke ich. »Ein ganzes, verdammtes Rudel.«
TEIL 3
Sag, wo brennt das Herz der Welt, das Herz der Welt aus Feuer Es lebt von grober, Harter Urzeitkohle: schwarze Finsternis, dichte Nacht, Chaos. Suche dort!
K. Boye
Jim und ich gehen die Kungsgatan hinauf. Die Sonne scheint, es ist windstill, es ist einer der ganz wenigen Tage dieses Jahres, in denen es meiner Erinnerung nach nicht windig ist. Der Himmel ist hoch und klar wie Glas, wie es sein soll an einem sunday Anfang des Herbstes. Als die Sonne das Lindenlaub anleuchtet, sehe ich, dass es gelb geworden ist.
Ich zeige es Jim.
»Nun wird es bald Herbst, Jim«, sage ich.
Er nickt.
Und es ist so schön, an seiner Seite zu gehen, un- seren üblichen Weg zum Sportplatz zurückzulegen, dass ich ihn einen Moment lang am liebsten an die Hand gefasst hätte, meine Hand in seine geschoben und gesungen, wie ich es immer getan habe, als ich noch klein war: Hier kommen Jim und Kim, he, he, he and him. Hier kommen Kim und Jim, he, he, he and him. Aber ich tue es nicht. Natürlich tue ich es nicht! »Wir hätten lieber angeln gehen sollen«, sagt Jim.
Ich schüttle nur den Kopf. Nein. Nicht angeln.
Am Zebrastreifen muss ich stehen bleiben. Ich muss nach Luft schnappen. Schiebe die Baskenmütze auf dem Kopf nach hinten.
»Wie geht es?«, will Jim wissen.
»Ist schon in Ordnung.«
Das Spiel ist langweilig. Sinnlose lange Bälle rollen über die Seitenlinie. Beide Verteidiger spielen Mann gegen Mann. Die Stürmer purzeln zu Boden. Der Schiedsrichter teilt genauso viele gelbe Karten aus, wie Blätter an der Linde hängen, und pfeift die wenigen Ansätze zu einem geordneten Spiel noch kaputt. Jim geht an die Decke. Immer wieder springt er aus der Bank auf und sagt kluge Dinge über den Fußball von heute. Ich höre nicht zu. Denke an etwas anderes. Ich merke, dass ich die Lust auf so etwas hier verloren habe.
Am Ende der ersten Halbzeit verläuft sich ein Hase aufs Spielfeld. Er wird von Panik gepackt, als er merkt, dass ihn 4871 Zuschauer anstarren. Die Spieler versuchen ihn zu fangen. Das Publikum lacht. Der Hase rennt von der einen Seite zur anderen. Der Schiedsrichter zieht eine rote Karte und zeigt sie ihm. Das Publikum jubelt. Ich kann das nicht länger mit ansehen. Ich fliehe aus der Bank. »Lasst ihn in Ruhe!«, schreie ich. Aber es kommt kein Laut über meine Lippen.
Der Duft von Kristins indischem Lammcurry schlägt uns bereits auf der Krusbärsgatan entgegen. Wir schauen einander lachend an. Das ist auf jeden Fall wie eh und je. Das ist, wie es immer gewesen ist, wie es sein soll. Es ist sunday und es duftet nach Lammcurry.
»Ich bin hungrig wie ein Wolf«, erklärt Jim und klopft sich auf seinen Bärenbauch.
Kristin steht in der Küche und bügelt das schwarze Kleid. Sie
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