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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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Glut.
    Als das Tageslicht über den Berg kommt, gehe ich davon aus, dass der Hase fertig sein müsste. Ich schaue ihn widerwillig an. Ich bin überhaupt nicht hungrig. Beschließe, mich nicht drum zu kümmern. Ich überlege, ihn von der Glut zu nehmen und ihn dann in die Reste des Windschutzes zu werfen. Für den Fall, dass ich später hungrig werde.
    In letzter Minute entscheide ich mich anders. Die Erinnerung an meinen Plan kommt mir in den Kopf. »Ich werde Punkt drei nie erfüllen können, wenn ich nichts von diesem Hasen esse.«
    Ich seufze resigniert. Ich halte den rußschwarzen Körper zwischen meinen Händen, als wäre er ein kleines Kind mit Brandschäden. Einen Augenblick lang fällt mir ein Krieg ein, irgendwo anders, aber mehr fällt mir dazu nicht ein; nur das Bild eines schwarzgebrannten Kindes. Dann schlage ich die Zähne in den Körper. Ich reiße ein Stück vom Rücken los und kaue es langsam mit meinen Zähnen. »Das hier ist Punkt drei«, denke ich. »Das muss ich mir klarmachen!«
    Als ich fast den halben Körper gegessen habe, merke ich, dass ich nicht mehr kann. Ich werfe den Rest des Hasen in den Windschutz. Sinke zusammen, strecke mich aus, denke, dass ich mich jetzt ausruhen muss. »Ich muss nach dem Essen ein wenig schlafen.«
    Zu meiner Verwunderung falle ich nicht gleich in Ohnmacht. Statt dessen merke ich, wie mein Gehirn an etwas anderem arbeitet. Es macht einen neuen Plan: Punkt vier, Punkt fünf und Punkt sechs. »Aha«, denke ich. »Das ist schlau von mir. Auch wenn alles zum Teufel geht, muss man das so machen. Dann muss man diese unmögliche Zukunft in winzigkleine, mögliche Teilchen aufteilen.« Ich habe so das Gefühl, dass mir das mal jemand gesagt hat, habe aber vergessen, wer das war.
    Nach einer Weile ist der neue Plan klar, er unterscheidet sich nicht besonders von dem ersten: Punkt vier. »Wasser trinken, Massen von Wasser. Punkt fünf: Holz sammeln. Punkt sechs: ein Feuer machen, ein großes Feuer, das weithin zu sehen ist.«
    Dann schlafe ich ein.
    In der Abenddämmerung wache ich wieder auf. Ich strecke mich. Schüttle mich ein wenig, um den Körper von allem zu befreien, was sich festgesetzt hat. Obwohl ich vorsichtig bin, wachen die Schmerzen auf. Ich spüre, wie ihre nadelspitzen Klauen sich in den Hinterkopf und Rücken bohren. Wieder sinke ich zusammen, krümme mich unter den Schmerzen, versuche mich daran zu gewöhnen. »Der Magen«, denke ich. Es ist lange her, seit ich dort etwas gespürt habe. »Das, was ich gegessen habe, muss jetzt wohl dort angekommen sein, im Magen. Ich lebe also«, denke ich. »Ich bin ein kleines, knabberndes Tierchen im Wald.«
    Dann krieche ich aus meiner Höhle und trotte ganz langsam den Berg hinunter. Ich folge dem gleichen Pfad wie beim letzten Mal, einer fast unsichtbaren Spur zwischen Felsblöcken und Baumstämmen, zwischen hohen Fichten und dichtem Gebüsch. Ab und zu bleibe ich stehen, wittere und lausche. Der Wald ist heute Abend still. Hoch über mir weht es.
    Als ich das Moor erreiche, hat sich die Nacht schon seit langem im Wald niedergelassen. In der Dunkelheit fühle ich mich sicherer. Ich tappe zwischen den Grasbüscheln weiter vor und halte erst an, als das kühle Wasser meine Pfoten umspült. Da senke ich meinen Kopf und trinke lange von dem wohlschmeckenden Sumpfwasser.
    Ich krieche zurück aufs feste Land. Schlecke mir den Mund. Dann rolle ich mich auf einem Fels zusammen und schlafe eine Weile.
    Als ich zu meiner Höhle zurückkomme, verspüre ich Hunger. Ich schnuppere herum, um zu sehen, wo ich die Beute hingelegt habe. Als ich sie ganz hinten in der Höhle finde, schlage ich sofort die Zähne hinein und nage sie sauber, bis die Knochen weiß schimmern.
    Ich zucke zusammen, als ich den Rauch entdecke. Erschrocken weiche ich zurück und verstecke mich hinter der Höhle. Nach einer Weile schaue ich vorsichtig hervor. Ich sehe einen Ring von Steinen. Von ihm aus steigt der Rauch auf.
    »Feuer! Das ist doch mein Feuer!«
    Ich sehe, dass es ausgegangen ist. »So ein Mist«, denke ich. »Was mache ich eigentlich. Ich muss mich zusammenreißen. Muss versuchen, klar zu denken, muss versuchen, logisch zu denken.«
    Wieder fällt mir der Plan ein, und ich stelle fest, dass ich Punkt vier geschafft habe: Wasser. Höchste Zeit, Punkt fünf in Angriff zu nehmen: Holz sammeln. »Mein Gott«, murmle ich. »Wie denke ich eigentlich!«
    Als ich davonkrieche, um Holz zu sammeln, murmle ich vor mich hin: »Holz, Äste und Zweige,

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