Wir waren nie Freunde
knurrt, als wir hereinstürmen, und wir halten an, gehen ein paar Schritte zurück, ziehen die Schuhe aus und stapeln sie neben der Tür.
»Willst du verreisen?«, fragt Jim mit einem Nicken zum Bügelbrett.
»Wir haben Klassentreffen«, sagt Kristin.
Ich schaue aus dem Fenster um nachzusehen, ob Elvis sich zeigt.
»Wieso das?«
»Hat Elvis schon was gekriegt?«
»Weil es zwanzig Jahre her ist seit dem Abitur. Was hast du gesagt, Kim?«
»Hast du Elvis was gegeben?«
»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Wo denn, hier in der Stadt?«
»Nein, natürlich in Malmö.«
»Vielleicht ist er in einen anderen Garten umgezogen.« »My God! In Malmö«, sagt Jim. »Und wann?«
»Stell ihm ein bisschen Trockenfutter raus, dann taucht er bestimmt wieder auf.«
»Samstag.«
Ich öffne die unterste Schranktür und hole ein Paket Whiskas Fisch heraus. Es ist fast leer. Elvis liebt Whiskas. Aber normalen Fisch rührt er nicht an. Wenn Jim und ich mit einem Bündel Forellen nach Hause kommen, schnuppert er nur daran und geht dann wieder. Vielleicht ist er auch ein Tierfreund, so wie PM. Ich lasse die letzten Happen Trockenfutter in die Schale rieseln und lege das leere Paket in die Tragetasche mit den alten Zeitungen. Jim und Kristin sind mitten in einem Rededuell darüber, wie man am billigsten nach Malmö kommt, mit dem X2000 oder dem Swebuss, aber ich höre gar nicht hin. Ich gehe ins Badezimmer. Pinkle ohne zu zielen und muss das halbe Klo mit Toilettenpapier abwischen. Ich nehme mir viel Zeit zum Händewaschen. Ich kann hören, dass sie jetzt angefangen haben sich zu streiten, deshalb bleibe ich lieber noch eine Weile hier. Ich sehe mich selbst im Spiegel an. Betrachte mein Gesicht, das von einem dünnen Riss im Glas in zwei ungleiche Hälften geteilt wird. Ich versuche mir in die Augen zu sehen. Sage: »Hallo Kim, ist es schön, wieder zu Hause zu sein?« Eine Zeit lang starre ich in das Spiegelglas, suche nach einer passenden Antwort, kann aber keine finden, also zucke ich nur mit den Schultern. Dann gehe ich hinaus und ziehe die Tür laut hinter mir zu, trample in die Küche und setze mich an den Tisch.
»Hört endlich auf«, sage ich.
Kurz vor neun gehe ich hinaus. Ein fetter Herbstmond hängt über dem Viertel. Wieder ist Wind aufgekommen. Ein böiger Wind spielt mit den Zweigen in der ordentlichen Reihe von Paradiesapfelbäumen. Schattengestalten tanzen über die kleinen Rasenflächen. Ich schlage den Kragen hoch und gehe zum Einkaufszentrum.
Ein Stück von Johnnys Kiosk entfernt bleibe ich stehen. Die Straßen sind so gut wie menschenleer. Schließlich hält ein Toyota Corolla, eine Frau in gelbem Mantel steigt aus und kauft etwas. Ein Aftonbladet, ein Päckchen Blã Blend. Johnny selbst steht heute Abend im Kiosk. Als die Frau bezahlt und sich wieder ins Auto gesetzt hat, gehe ich weiter.
Ich komme an dem Mietsblock vorbei, in dem Pia-Maria wohnt. Viele Fenster sind erleuchtet. Ich schaue zu denen von PMs Wohnung hoch und stelle zu meiner Verwunderung fest, dass alle Fenster hell sind, bis auf das von Pia-Marias Zimmer. Ist sie nicht zu Hause? Was machen Leute an so einem Abend? Was machen PM und ihre Mutter? Sehen sie sich ein Video an? Falls es einen Film gibt, den sie noch nicht gesehen haben.
(»Den habe ich doch schon mal gesehen, Mann.«) Nach einer Weile stelle ich fest, dass ich auf dem Weg in das alte Villenviertel bin. Ich verlangsame meine Schritte, gehe in Gedanken. Ein Stück vor dem roten Backsteingebäude in der Vinbärsgatan bleibe ich stehen. Auch hier sind die Fenster erleuchtet. »Ja, ja«, denke ich. »Die Leute sind sonntagabends brav zu Hause. Alle sind daheim. Da kann man sicher sein.«
Ich überlege, was sie wohl tun. Was machen Maj und der Flieger an so einem Abend? Hämmert Maj in ihrem kleinen Arbeitszimmer auf ihren Computer ein? Vielleicht arbeitet sie mit einem neuen Buch, der Übersetzung eines Vogelhandbuchs. Und der Flieger? Guckt er Fernsehen, so wie andere Leute? Ich weiß es nicht.
Der alte Mercedes steht im Carport. Der gehört wohl schon fast in die Oldtimerkategorie. Aber er hat nicht einen Kratzer. Er ist genauso ordentlich wie alles andere in der Villa. Da gibt es keine abgenutzte Arbeitsplatte in der Küche mit Spuren von Brotmessern. Keinen zerkratzten Parkettboden oder tropfende Duschköpfe. Es ist nirgends zu sehen, dass Maj und der Flieger hier leben. Sie hinterlassen keine Spur. Nur Philip.
Ich gehe an der Villa vorbei und bleibe unter Philips Fenster
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