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Wir waren nie Freunde

Wir waren nie Freunde

Titel: Wir waren nie Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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geben dir Wärme und Speise. Holz, Äste und Zweige, geben dir Wärme und Speise.« Ich muss aufpassen, in der Wirklichkeit zu bleiben. Ich merke, wie unendlich nahe ich mich an der Grenze befinde. Ab und zu überquere ich sie. Ich gehe auf ihr entlang, nein, ich krieche auf ihr, auf der Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen.
    Ich gehe methodisch vor und lege kleine Häufchen zurecht mit Stöckchen und Zapfen und allem möglichen Brennbaren, auf das ich stoße.
    Plötzlich halte ich inne. Eine Erinnerung drängt sich mir auf und überrumpelt mich mit ihren starken Schmerzen. Sie sticht förmlich auf mich ein, bohrt sich in den Magenbereich, als handelte es sich um einen spitzen Gegenstand. Ich setze mich hin, muss nach Luft schnappen, spüre, wie etwas zurückkommt, wie etwas mich überrollt. Das ist eine unbegreifliche Erinnerung. Wie ich sie auch drehe und wende, es gelingt mir nicht, ihre Bedeutung zu erfassen. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt mich betrifft, ob sie etwas mit meinem Leben zu tun hat. Ich sehe ein einzelnes Bild aus dem Film über mein Leben. Es ist scharf, fast weißglühend. Menschen sind darauf zu sehen. Sie sind vor dem ausgeblichenen Hintergrund alle dunkel. Ich kann nicht sehen, was sie tun. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Aber sie kommen mir bekannt vor. Ja, jetzt sehe ich, wer das ist. Ich versuche mich auf dem Berg aufzurichten.
    »Tove!«, schreie ich. »Philip! Kommt zurück! Tove! Warum habt ihr mich verlassen!«
    Ich schreie so laut ich kann. Aber es kommt kein Laut über meine Lippen.
    Vor Erschöpfung sinke ich zusammen. Ich rolle mich ein, den Kopf zwischen die Vorderpfoten. Ich zittre vor Kälte. Ich kann hören, wie das Feuer brennt. Ich habe alle Tannenzweige hineingeworfen, die ich vom Windschutz lösen konnte.
    Ich spüre, dass es jetzt vorbei ist, und bin überrascht darüber, dass es mir so klar ist. Ja, so ist es. Jetzt ist es vorbei. Ich werde sterben, und so ein Gefühl ist das also. Ich kann die Farben nicht sehen. Ich hatte gedacht, sie würden jetzt hier sein. Die falschen Farben. Ich hatte geglaubt, es würde rot werden. Dass alles rot gefärbt werden würde. Dass die falsche rote Farbe mich einhüllen und wegführen würde. Aber so ist es nicht, denke ich. Es ist nur ein Ausruhen. Wie wenn man nach etwas Anstrengendem ausruht.
    Es wird schön sein, von hier wegzukommen und irgendwo anders lange ausruhen zu dürfen. Ich sehne mich danach schlafen zu dürfen und merke, wie mein Körper anfängt nachzugeben. Ich friere nicht mehr. Alles fühlt sich besser an. »Aha, denke ich. Als ob es sich nur um Ausruhen handelt.«
    Ein hartnäckiges Geräusch drängt sich mir auf. Es klingt bekannt und doch wieder nicht. Ich kann es nicht einordnen. Ich möchte schwören, dass ich es schon einmal gehört habe. »Die Zikaden«, denke ich, »das könnte es sein.« Ich lausche noch einmal. Das monotone Getöse ist ohrenbetäubend. Ich bin tot und begreife nicht, woher dieses Geräusch auf mich eindringt. Da erkenne ich es wieder. Das ist ein Hubschrauber! Das ist ein Bell 205er. Ich und Jim sitzen an den Steuerknüppeln. Jim sieht mich ernst an. Dann schüttelt er den Kopf. Ich sehe, dass wir reichlich an Höhe verloren haben. Ich packe energisch den Steuerknüppel, ziehe ihn zu mir heran, und der Hubschrauber gehorcht mir willig. Ich gebe mehr Gas, und der Lärm nimmt zu.
    »Okay Jim«, sage ich. »Ich werde mich zusammenreißen.«
    Wir sollen den ganzen Dreck über eine Stadt am Rande des Dschungels kippen. Jim nickt, sagt aber nichts. Ich verstehe ihn. Es gibt nichts zu sagen. Es gibt für das hier keine Worte. Das ist ein Befehl. Das ist etwas, dem man gehorchen muss. Fragt mich nicht warum. Ich weiß es nicht.
    Plötzlich sehe ich die Stadt vor uns auftauchen. Eine Ansammlung von Häusern. Ich sehe Tiere: in erster Linie Hühner und Schweine. Ein paar Hunde spielen mit etwas zwischen den Häusern. Eine Frau hockt an einem Wasserlauf am Rande der Stadt.
    »Okay, Jim?«
    Wieder nickt er.
    Ich umklammre den Griff für die Bombenluke.
    Gerade als ich daran ziehen will, sehe ich ein Kind die Hauptstraße entlanglaufen. Es ist ein Mädchen. Sie hat schwarzes Haar und ist wohl fünf, sechs Jahre alt. Jim legt mir die Hand auf den Arm. Nickt zu dem Mädchen hin. Aber ich habe sie schon selbst erkannt. »Shit«, keuche ich. »It's Kim isn't it?«
    »Yes.«
    »What shall we do?«
    »You have to let it go.«
    »No!«, schreie ich. »The hell I won't.«
    »It's an

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